Gerda Haßler & Jürgen Storost.
Festschrift für Werner Bahner zum 70. Geburtstag.

Münster, Nodus, 1997. 334 pp. ISBN 3-89323-269-9.

Die Festschrift beinhaltet ein kurzes Vorwort der Herausgeber (7-8), die Biographie des Jubilars (11-12), eine umfassende Zusammenstellung seiner Veröffentlichungen aus den Jahren 1951-1997 (13-38), die Tabula Gratulatoria (39-43) und 20 interessante und anregende Beiträge zu einem der Forschungsschwerpunkte des Geehrten, der Geschichte der Sprachforschung der romanischen Sprachen, ein Gebiet, daß in den letzten Jahren sehr in das Interesse der Forscher getreten ist, von Werner Bahner aber schon länger verfolgt wird. Lediglich zwei Aufsätze überschreiten den thematischen Rahmen des Bandes, der mentalitätsgeschichtlich ausgerichtete Beitrag von Helmuth Frisch (301-311), der die Einstellung des bedeutenden rumänischen Dichters Mihai Eminescu zu Frankreich thematisiert und jener die Sprachgechichte des Rumänischen betreffenden von Maria Iliescu (325-334). Beide stehen jedoch in Beziehung zu weiteren Forschungsschwerpunkten Werner Bahners. Die Beiträge, in deutscher, französischer, italienischer und spanischer Sprache abgefaßt, sind chronologisch angeordnet, sie erstrecken sich auf einen Zeitraum vom 16.-19. Jahrhundert mit Abstechern ins 15. und 20. Jahrhundert, der im Titel angegebene Zeitraum ist also zu erweitern. Räumlich gesehen werden Italien, Frankreich, Rumänien, der spanisch- und der portugiesischsprachige Raum und Deutschland erfaßt. Die Geschichte der Sprachforschung der romanischen Sprachen kann in unterschiedliche, in diesem Band vertretene Themenbereiche untergliedert werden: die Begriffs- und Ideengeschichte bezüglich der Sprache, die Gechichte der Methoden der Sprachforschung, in diesem Falle insbesondere der Verbreitung der historisch-vergleichenden Methode, und die Geschichte der Institutionalisierung der Forschung und Lehre der romanischen Sprachen an universitären Einrichtungen.

Die Beiträge zu der bisher wenig erforschten Geschichte der spanischen Sprachwissenschaft eröffnet Hans-Josef Niederehe (45-60), der nach den Ursprüngen der Sprachgeschichtsschreibung des Spanischen in Spanien und nach den wiederkehrenden Leitgedanken, den berücksichtigten Textsorten und Methoden fragt in Traktaten des 15.-18. Jahrhunderts zur spanischen Sprache und Literatur1. Er zeigt damit einen Ansatz auf, mit dem weitere Schriften untersucht werden können. Richard Baum (177-195) fordert eine Periodisierung und Betrachtung der spanischen Sprachgeschichte aufgrund der Kenntnis der Herausbildung einer Kultursprache, einem von ihm vertretenen Konzept2, mit dem er an den Idealismus Karl Vosslers und Leo Spitzers anknüpft. Er exemplifiziert dieses am Beispiel der sprachpflegerischen Gestaltung und den Normierungsbestrebungen des Wörterbuchs der Real Academia Española, dessen Abfassungsrichtlinien abgedruckt werden3. Sprachtheoretische Grundlagen der puristischen Sprachpflege in Spanien im 19. Jahrhundert zeigt Jenny Brumme (197-209) in ihrem Beitrag auf. Diese beruhen auf den Konzepten der corrupción und der decadencia in Verbindung mit der Betrachtung der Sprache als einem Organismus mit unterschiedlichen Lebensphasen. Durch die puristische Sprachpflege soll der Verfall der Sprache aufgehalten werden. Um die von dem Niederländer Johannes de Laet und dem Schweden Hugo Grotius kontrovers vertretenen Positionen bezüglich des Ursprungs der Sprachen der Ureinwohner Amerikas unter Rückgriff auf die These der Polygenese von José de Acosta geht es im Beitrag von Daniel Droixhe (73-88). Guillermo L. Guitarte (89-96) weist nach, daß die Idee von Pablo Bonet, die Buchstaben ihrer Lautung gemäß auszusprechen und zu bezeichnen, z. B. f und nicht efe, ausgehend vom Erlernen des Sprechens durch Taubstumme und dargestellt in Reduction de las letras y arte para enseñar a ablar los mudos, Madrid, 1620, auf kryptographische Theorien zurückgeht.

Gerda Haßler (107-124) stellt die Bedeutung des Vocabulário Portugues e Latino, Coimbra und Lisboa, 1712-21 mit dem Supplemento, 1727-1728 des Mönchs Rafael Bluteau heraus. Diese besteht in der umfaßenden Beschreibung des portugiesischen Wortschatzes, der Aufnahme von Fachwörtern und Neologismen, der Synonymik und der Modernisierung der Rhetorik. Sprachtheoretisch folgt er der Tradition seiner Zeit. Damit becschäftigt sie sich mit einem bisher weniger untersuchten Wörterbuch4 unter besonderer Berücksichtigung des Vorwortes.

Claudio Marazzini und Lia Formigari heben die in italienischen Traktaten im Rahmen der questione della lingua zum Ausdruck gebrachten sprachphilosophischen Gedanken hervor. Dieser Aspekt, der von beiden Forschern5 in ihren wissenschaftlichen Arbeiten verfolgt wird, verspricht noch interessante Ergebnisse. Claudio Marazzini (61-72) erläutert die von Benedetto Varchi im Ercolano, Firenze, 1570, und die von Lodovico Castelvetro in Ragione d'alcune cose segnate nella canzone d'Annibal Caro "Venite a l'ombra de' gran gigli d'oro", s.l., s.d., Modena, 1559, aufgeführten Typologien der Sprachen. Diese Schriften entstanden im Zusammenhang mit einer Polemik um ein Gedicht von Annibale Caro. Castelvetro klassifiziert die Sprachen nach möglichen Verwandschaftsbeziehungen derselben aufgrund sprachinterner Kriterien, um somit die Verwendung von Neologismen und Fremdwörtern zu rechtfertigen. Varchi hingegen versucht mit seiner Klassifikation der Sprachen mit binären Oppositionen der Eigenschaften von Sprachen die Autorität des Florentinischen zu untermauern. Lia Formigari (159-169) arbeitet die Besonderheit des Traktats Ricerche intorno alla natura dello stile [1809] von Cesare Beccaria heraus, die darin besteht, daß er sich nicht wie üblich zu seiner zeit in Italien mit der questione della lingua beschäftigt, sondern eine allgemeine Sprachtheorie bzw. Semiotik darlegt, die als Ideal die Repräsentation der Ideen durch die sprachlichen Zeichen besitzt, wie sie in der zweiten Entwicklungsphase der Sprache ereicht wird, nach einer ersten Phase der Entstehung. In der dritten, in der man sich im 18. Jahrhundert befindet, in der die Repräsentation der Ideen durch die sprachlichen Zeichen verloren gegangen ist, kann eine wünschenswerte bildliche Imagination in wissenschaftlichen und philosophischen Abhandlungen nur durch den Stil erreicht werden. Mit dem Aufsatz von Rudolf Windisch (211-235) beginnen die Beiträge zur Geschichte der Verbreitung der historisch-vergleichenden Methode. Der Autor hebt zwar den Pioniercharakter der Arbeiten von Bernardino Biondelli zu den oberitalienischen Dialekten6 bzw. der Gaunersprache7 hervor, stellt jedoch andererseits fest, daß Biondelli die zu seinen Lebzeiten in Deutschland entstandene historisch-vergleichende Methode nicht berücksichtigt8.

Pierre Swiggers (97-106) gibt Anhaltspunkte, die als Grundlage für eine eingehende Untersuchung dienen können, für die These, daß Bernard Lamy in seinem bekannten Werk De l'Art de Parler, Paris, 1675, ein Bindeglied darstellt im Bereich der Sprach- und Grammatiktheorie zwischen der Grammatik von Port-Royal und der grammaire générale et philosophique des 18. Jahrhunderts. Ebenfalls um eine Stellung als Vermittler geht es im Artikel von Brigitte Schlieben-Lange (167-176). Er enthält sehr interessante Anregungen für eine detailliertere Untersuchung der französischen Übersetzung der Grammatik von James Harris9 durch den französischen idéologue Jean François Thurot10. Ausgehend von dem Widerspruch, daß ein idéologue eine platonisch inspirierte Grammatik übersetzt, zeigt sie, was Thurot an Harris Grammatik überzeugt hat. Erstens dessen Analyse und Systematik, zweitens der Hermesmythos, Hermes als der Erfinder einer exakten, prinzipiengeleiteten, die Dialekte überwindenden Sprache, und drittens die im Cratylos ausgedrückte Idee Platons, daß es eine wesensmäßige Adäquatheit zwischen der Natur der choses, der idées und der mots gibt, die dazu führt, daß es nur einem besonderen Legislator zustehe, Neologismen zu schaffen. Zwei Beiträge sind der Beschäftigung mit Rousseau gewidmet. Im ersten von Georgia Veldre (125-147) untersucht die Auorin, inwieweit Rousseaus Sprachursprungstheorie ein Echo gefunden hat in den Schriften, die auf die Preisfrage der Berliner Akademie zum Ursprung der Sprache 1769 eingereicht worden sind. Sie kommt zu dem Schluß, daß die Auffassungen Rousseaus vom homme sauvage als einem isoliert lebenden, sich selbst genügenden und nicht gesellschaftlichem Wesen in den Preisschriften kritisiert wird, da man eben in dem gesellschaftlichen Menschen die Voraussetzung für das Bedürfnis nach Kommunikation und somit für die Entstehung der Sprache sah. Ebenso wird seine Vorstellung, daß die idées générales erst nach der Entstehung der Sprache entstanden seien, zurückgewiesen. Der zweite Aufsatz zu Rousseau ist derjenige von Ulrich Ricken (149-158)11. Gemeinsamkeiten zwischen den Auffassungen der beiden Genfer Jean-Jacques Rousseau und Ferdinand de Saussure sieht der Autor in der Annahme der Sukzessivität der sprachlichen Zeichen, in der Betrachtung der Sprache (bei Rousseau der lautlichen Seite der Sprache) als einem System, dessen Elemente zueinander in Opposition stehen, die Beschäftigung mit der Problematik der Gegenüberstellung des Individuellen und des sozialen Aspekts der Sprache, auch wenn sie in diesem letzten Gebiet zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Unterschiede bestehen im terminologischen Bereich. Obwohl die gleichen Wörter verwendet werden: langue, langage, parole, discours, usage, valeur, erfolgt dies mit unterschiedlicher terminologischer Fixierung und Stringenz. In seinem sorgfältig dokumentierten Beitrag weist Gabriel Bergounioux (237-257) anknüpfend an eine Arbeit von Werner Bahner anhand der Lehrstuhlinhaber und den Lehrveranstaltungsankündigungen an den französischen Universitäten und den Grands Ecoles nach, daß die historisch-vergleichende Methode in Frankreich in den Jahren 1850-1870 bis auf Ausnahmen noch nicht generell Eingang gefunden hatte.

Als ein Beispiel für die frühe Rezeption der Diezschen Grammatik der romanischen Sprachen12 und somit der historisch-vergleichenden Methode kann der leider zu früh verstorbene August Fuchs angesehen werden, wie Jürgen Storost (259-274), der sich an anderen Stellen ausführlich mit diesem Gelehrten beschäftigt hat, darlegt anhand der Auswertung von drei neu aufgefundenen Briefen von Fuchs an Diez (1844-1847), die im Artikel veröffentlicht werden. Im Beitrag von Hans-Manfred Militz (291-299) geht es ebenfalls um das Diezsche Erbe. Der Autor untersucht Meyer-Lübkes Grammatik der romanischen Sprachen, Leipzig, 1890-1902 unter dem Gesichtspunkt der Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der Diezschen Grammatik. Neu ist die Betrachtung der lautlichen Veränderungen als Lautgesetze und die Berücksichtigung späterer sprachgeschichtlicher Etappen über das Mittelalter hinaus. Als Fortsetzung kann die Tatsache angesehen werden, daß Meyer-Lübke neben der Lautlehre auch die Formenlehre, die Syntax und den Wortschatz berücksichtigt. Klaus Bochmann (275-289) gibt mit der Darstellung der wissenschaftlichen Leistungen, den Interessen und der Lehre von Adolf Ebert in Leipzig- erste lagen mehr im literaturwissenschaftlichen Bereich, in der letzteren widmete er sich auch der Sprachwissenschaft unter Einbeziehung der historisch-vergleichenden Methode-, gleichzeitig einen Einblick in die Schaffung der ersten romanistischen Lehrstühle in Deutschland. Helmuth Frisch (301-311) arbeitet anhand der journalistischen Schriften des bedeutenden rumänischen Dichters Mihai Eminescu dessen Einstellung zu Frankreich heraus. Einerseits erkennt er die kulturellen und politischen Leistungen Frankreichs an. Andererseits übt er punktuell und provokatorisch Kritk, um seine Landsleute wachzurütteln und sie vor einer sklavischen Imitation alles aus Frankreich kommenden, ohne Berücksichtigung der eigenen Tradition, zu warnen. Bärbel Techtmeier (311-323) zeigt überzeugend auf, daß die Position Titu Maiorescus in der Orthographiereform, in der Neologismendebatte und seine stilistisch-rhetorischen Ansichten zum politischen Diskurs aus seiner bisher nicht als homogen erkannten sprachtheoretischen Grundlage resultieren, die auf der zeichentheoretischen Einteilung in Zeichen-Vorstellung-Begriff beruht. Im letzten Beitrag des Buches kommt Maria Iliescu (325-334) zu dem interessanten Ergebnis, daß die Anzahl der Wörter griechischen Ursprungs aus der Phanariotenzeit (1711-1821) in der rumänischen Umgangssprache bisher unterschätzt worden ist und daß aufgrund einer außersprachlich bedingten Ablehnung alles Balkanischen diese Wörter prädestiniert sind, eine negativ-ironische Konnotation zu erlangen.

Abschließend kann festgehalten werden, daß es sich bei dieser Festschrift um eine sehr gelungene, thematisch geschlossene Sammlung interessanter und anregender Beiträge zur Geschichte der Sprachforschung romanischer Sprachen handelt, die zu neuen Erkenntnissen gelangen und die weitere Forschungsmöglichkeiten aufzeigen.

Notes

1. Enrique de Villena, Arte de trobar, 1433?, Antonio de Nebrija, Gramática castellana, 1492, Juan Valdés, Diálogo de la lengua, 1535, Andrés de Poza, De la antigua lengua de las Españas, 1587, Bernardo Aldrete, Del orígen de la lengua española, 1606, Francisco Mayáns y Siscar, Orígenes de la lengua española, 1737. (Back)

2. Vgl. Baum, Richard, Hochsprache, Literatursprache, Schriftsprache. Materialien zur Charakterisierung von Kultursprachen, Darmstadt, 1987. (Back)

3. PLANTA Y METHODO, QVE, POR DETERMINACION DE LA ACADEMIA ESPAÑOLA DEBEN OBSERVAR LOS ACADEMICOS EN LA COMPOSICION DEL NUEVO DICCIONARIO DE LA LENGUA CASTELLANA; A FIN DE CONSEGVIR SU MAYOR UNIFORMIDAD. EN MADRID: en la IMPRENTA REAL, [...], Año 1713. (Back)

4. Vgl. Verdelho, Telmo, "Lexikographie", in: Holtus, Günter/Metzeltin, Michael/Schmitt, Christian, Lexikon der romanistischen Linguistik, Bd. VI, 2, Galegisch, Portugiesisch, Tübingen, 1994, 673-692. (Back)

5. Vgl. Marazzini, Claudio, Il secondo Cinquecento e Seicento, Bologna, 1993 und ders., "Le teorie", in: Serianni, Luca/Trifone, Pietro, Storia della lingua italiana, Bd. I, I luoghi della codificazione, Torino, 1993, 231-329 , vgl. z. B. Formigari, Lia, "Les Idéologues italiens. Philosophie du langage et hégémonie bourgoise", in: Busse, Winfried/Trabant, Jürgen, Les idéologues, Amsterdam/Philadelphia, 1986, 219-229.

6. Biondelli, Bernardino, Saggio sui dialetti gallo-italici, Milano, 21853. (Back)

7. Biondelli, Bernardino, Studi sulle lingue furbesche, Milano, 1846. (Back)

8. Implizit übt Carlo Tenca, der in der Bibliographie nicht aufgeführt wird, in seinen Rezensionen bezüglich des zweiten Werkes eine ähnliche Kritik, das erste wird hingegen sehr von ihm gelobt, vgl. Tenca, Carlo, Scritti linguistici, hrsg. von Angelo Stella, Milano/Napoli, 1984, 59-63, 103-134. (Back)

9. Harris, James, Hermes: or a Philosophical Inquiry Concerning Language and Universal Grammar, London, 1751. (Back)

10. Thurot, François, Hermès ou recherches philosophiques sur la grammaire universelle, Paris, 1796. (Back)

11. Parallelen zwischen Jean-Jacques Rousseau, Etienne Bonnot de Condillac und Ferdinand de Saussure finden sich auch in Ricken, Ulrich (mit Bach, Reinhard/Molin, Fabienne/Renneberg, Christine), "Le 'langage nouveau' de Jean-Jacques Rousseau: Langue ou parole. Ou deux citoyens de Genève à la lumière l'un de l'autre", Présence de Saussure, hrsg. von René Amacke/Rudolf Engler, Genève, 1990, 89-119. (Back)

12. Bonn, 11836-1844, 21856-1860, 31870-1872. (Back)

Waltraud Weidenbusch, Heidelberg