105 Dô got gewaltes rîche
106 Ze lobe im sunderlîche
107 Adâm geschuof von erden,
108 Ze der wir müezen werden,
109 Dô lac er alterseine:
110 Ich gelîche in dem reine.
111 Ein rippe got ûz im dô nam,
112 Von der unser muoter Êvâ kam:
113 Si bediutet den boum aleine,
114 Der dâ wuohs ûf dem reine.
115 Wenne si wâren beide
116 Âne sünde und reine meide:
117 Des hêt got nimmer si vertriben
118 Und wêrn êwiclich beliben
119 In dem frônen paradîse,
120 Wêrn si beliben wîse
121 Und hêten behalten sîn gebot:
122 Sô wêrn wir frî vor aller nôt.
123 Dô si verlurn die wunne,
124 Der gîtikeit brunne
125 Wuohs üm die selben missetât,
126 Der manige sêle versenket hât.
127 Dô si verdienten gotes zorn,
128 Dô wuohs der hôchferte dorn.
129 Von der selben sache
130 Wuohs maniger sünden lache.
131 Grôziu riuwe doch an in beiden was:
132 Diu riuwe bediutet daz grüene gras.
133 Êvâ, des êrsten wîbes nam,
134 Brâht uns in sünde und in scham.
135 Daz hinder wart her vür gekêrt,
136 Dâ von wart unser heil gemêrt.
137 Âvê, daz vil süeze wort,
138 Brâht uns aller fröuden hort.
139 Êvâ brâht uns in den tôt,
140 Dô half uns Âvê ûz der nôt.
141 Âvê, sant Marien gruoz,
142 Machte uns aller swêre buoz.
143 Dirre buochstaben sint niur drî,
144 Die machten uns eigen unde frî. -
145 Der apfel, den frouwe Êvâ brach,
146 Machte uns allez ungemach.
147 Des boumes fruht het uns verleit,
148 Eins andern bürde nam unser leit:
149 Daz was der boum, an dem Krist leit
150 Die marter durch die kristenheit.
151 Dô Adâm und Êvâ beide
152 Von der wunneclichen heide
153 Des paradîses muosten scheide,
154 Dô lebten sie mit leide.
155 Verfluochet was diu erde:
156 Da ir lîpnar sölte werde,
157 Dâ wuohsen hagen unde dorn:
158 Daz kam von gotes zorn.
159 Frouwe Êvâ zwên süne gewan.
160 Der eine wart ein ackerman,
161 Der was geheizen Kâîn.
162 Âbel hiez der bruoder sîn.
163 Der was ein hirte bis an den tac,
164 Daz er sîder tôt gelac
165 Von sînem bruoder, der in sluoc.
166 Dâ mit sî der rede genuoc.
167 [Âbel hât den lîp verlorn,
168 Ê denne sîn vater wêr geborn].
169 Sît gewan frouwe Êvâ kinde vil,
170 Von den ich nu niht sagen wil:
171 Doch sît des von mir gewis:
172 Ein buoch daz heizet Genesis,
173 Dâ vindet man geschriben an,
174 Swer lesen und verstên kan,
175 Von der werlde anegenge.
176 Diu rede wêr mir ze lenge
177 Und ouch diu wort ze strenge,
178 Daz ich si sölte brenge
179 Von latîn ze diute:
180 Der süln klôsterliute
181 Pflegen und ander pfaffen,
182 Die got dar zuo geschaffen
183 Hât, daz si guot bilde geben
184 Uns leien an lêre und ouch an leben.
185 Ich muoste durch den itewîz,
186 Den frouwen êven apfelbîz
187 Hât leider brâht uns allen,
188 In dise materie vallen;
189 Und muoste von êrste urkünden
190 Daz ursprunc aller sünden,
191 Daz sêre noch ûf uns erbet
192 Und lîp und sêle verderbet.
193 Sît disiu wilde werlt hât
194 Sô manigerleie missetât
195 Brâht in ein gewonheit
196 Von tegelicher emzikeit,
197 Daz manigen liuten ofte ist leit
198 Ob man in sagt die wârheit:
199 In der mitteln sül wir varn
200 Und die wârheit doch niht sparn
201 Und süln den jungen liuten
202 Die birn baz bediuten,
203 Die von dem boume sint gevallen:
204 Seht, die gelîchent sich uns allen
205 Die von dem boume sint bekumen,
206 Als ir dâ vor habt vernumen.
207 Diu heide bediutet dise werlt,
208 Die got gewifelt und geberlt
209 Hât mit maniger leie wunne.
210 Ir dient der mâne und ouch diu sunne
211 Und ouch des firmamentes schîn,
212 Öle, obez, getreide, honic und wîn,
213 Loup, gras, bluomen unde klê
214 Und manic wunder in dem sê,
215 Vogel, vische, würme und tier,
216 Diu zît des jârs geteilt in vier,
217 Fiur, luft, erde, holz und steine,
218 Elliu dinc, grôz und kleine,
219 Enge, wît, kurz, lanc, smal, breit, sinwel,
220 Swarz, wîz, rôt, blâ, grüen, brûn, gel,
221 Harpfen, lîren, seitenklingen,
222 Menschen stimme und vogelîn singen,
223 Wazzers wunder in siben gerihten,
224 Der meister lêre und hôhez tihten,
225 Manic wunneclicher lîp
226 Den in der werlde hât man und wîp,
227 Und manic antlütze erliuhtet gar
228 Lilien und rôsen var:
229 Swie vil diz wunne hab über al,
230 Doch ist diu werlt ein jâmertal
231 Gein der wunneclichen stat,
232 In der got gezieret hât,
233 Sîn gesinde alsô, daz wîp noch man
234 Die fröude niht durchgründen kan.
235 Nu wil ich aber grîfen an
236 Die rede, als ich si lâzen hân.
237 Mit bergen diu heide was ümmeleit:
238 Wenne solhiu sorge und arbeit
239 Die werlt habent ümmevangen,
240 Sît mit des tôdes zangen
241 Begriffen ist allez daz nu lebt,
242 Kriuchet, fliuget oder swebt;
243 Wenne mit stêten fröuden mac
244 Nieman geleben einen tac.
245 Sît nu sô maniger leie kint
246 Von Adâm her bekumen sint,
247 Sô sül wir von uns scheiden
248 Juden, ketzer, heiden,
249 Und sagen von den kristen,
250 Mit wie manigen listen
251 Die vînde ir leider lâgent
252 Und wie dicke ouch wâgent
253 Meide, knehte, man und wîp
254 Sêle und êre, guot und lîp:
255 Des vallent si vil ungelîche,
256 Junge, alte, arme und rîche.
257 Ein boum in sîner blüete
258 Gibt den liuten hôchgemüete:
259 Alsam tuont den frouwen ir kint,
260 Die wîle si in kindes jâren sint.
261 Swenne si die kintheit über strebent
262 Und nie mêr in vorhten lebent,
263 Sân kumt her Virwiz gerant
264 Und lœst den meiden ûf diu bant;
265 Die knehte lœst her Selphart,
266 Die vor ir muoter wâren zart.
267 Si nement her nâch unglîchen val
268 Als die birn in dem tal.
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Administration: Henrike Lähnemann Zuletzt geändert am 07.07.2004