LXXXVI Ein rede gemeine niema[n]s alaïe.

13219 Allez dinc nimmer bœse ende hête,
13220 Swer ez mit gotes vorhten tête.
13221 Swaz man âne gotes vorhte tuot,
13222 Daz kan nimmer werden guot.
13223 Swie heimlich ieman missetuo,
13224 Er sol doch vorhte haben dar zuo.
13225 Nieman ûf erden ist sô rîche,
13226 Daz siuche und sorge im gar entwîche.
13227 Sorge an der sêle, siuche an dem lîbe
13228 Lânt selten frî und frô uns belîbe.
13229 Gar frô und frî als vogellîn
13230 Mac wol der sêlige mensche sîn,
13231 Den wol benüeget mit kleinem guote
13232 Und alle zît lebet in senftem muote.
13233 Got lâze mich nimmer daz guot gewinne
13234 Von dem der sinne mir zerinne,
13235 Daz ich daz minne beide ûzen und inne
13236 Daz mich beroube der wâren minne.
13237 Swem liebet ze sêre der werlde guot,
13238 Dem bringet der tiufel in sînen muot
13239 Ofte sô werltlich getrehte,
13240 Daz er gelouben niht kan rehte
13241 Swaz man im von der heiligen schrift
13242 Vor gesagt: disiu michel gift
13243 Wonet nu manigem menschen bî
13244 Daz schœne ir wil sîn und gar frî,
13245 Und gêt bî uns rehte als ein dahs
13246 Der slîchet durch einen nazzen flahs,
13247 Und als ein glîzender stelliô
13248 Des zuokunft selten ieman wirt frô.
13249 Dipsas und Amphisibêne
13250 Sint grimmer slangen ûf erden zwêne
13251 Noch grimmer sint die selben liute,
13252 Der leider ûf erden vil ist hiute.
13253 Die vastent und gar vil geswîgent
13254 Und in tempeln gar tiefe nîgent
13255 Und als einveltigiu lemmer lûzent
13256 Und manigen valsch in in doch mûzent.
13257 Wêr ich dem himel iht dester nêher,
13258 Ich wölte ouch blinzeln als ein heher
13259 Dem man kriselt ûf sînem houbet,
13260 Daz man mir dester baz geloubet.
13261 Brustklopfen, siufzen, tougen blicke
13262 Triegent einveltige liute dicke,
13263 Swenne si die hânt vür heilige liute,
13264 Die dirre gebêrde vil künnen hiute:
13265 Dâ von lêrte uns ein wîser man,
13266 Des sprüche ich vil gelesen hân:
13267 "Swinc dich niht in allen wint,
13268 Volge den niht die valschaft sînt!"
13269 Swelch lûzender übel hunt sich flîzet
13270 Daz er die liute vêringen bîzet.
13271 Vor dem sol man sich vil sêrre hüeten
13272 Denne vor dem, den man siht wüeten:
13273 Swer mir strîchet in den munt
13274 Ein affensmalz und als ein hunt
13275 Mich vêringen dar nâch bîzet,
13276 Grôzer untriuwen er sich flîzet.
13277 Unkust treit aller untugent insigel:
13278 Unküstige liute bediutet der igel,
13279 Der mit spitzigen borsten stichet
13280 Und selber sich birget sô er sich richet;
13281 Der igel ist nu diu werlt vol:
13282 Swen si niht stechen, der vert wol.
13283 Ez schadet einem andern ofte ein man,
13284 Der im niht vil gefrumen kan.
13285 Swer guot und êre wil haben ûf erden,
13286 Dem muoz ez nu vil sûrre werden
13287 Denne unsern vordern bî den jâren,
13288 Dô die liute dennoch einveltic wâren
13289 Und unserm herren getrûweten wol.
13290 Ob man die wârheit sprechen sol,
13291 Sô vinde wir leider wênic liute,
13292 Die gote getrûwen ûf erden hiute.
13293 Wizzet er ist ein sêlic man,
13294 Der guot vür guot genemen kan,
13295 Und swen benüeget des er hât,
13296 Ez sî getranc, spîse oder wât.
13297 Swer denne sich hiure mêr denne vert
13298 Dunket guotes und êren wert,
13299 Des herze ist vil sêre beswêrt
13300 Und wirt ein anderre ê gewert
13301 Denne er der dinge der er gert:
13302 Diz sorgen ist als ein spitzic swert,
13303 Daz alle tage sîn herze stichet
13304 Und ander liute an im gerichet.
13305 Sol gîtikeit und glîchsenheit
13306 Und simonîe und driveltikeit
13307 Gar heilic machen die kristenheit,
13308 Sô triuget mich mîn einveltikeit.
13309 Diu heilige schrift ist hin geleit,
13310 Wenne si durch êwige sêlikeit
13311 Selten ieman lernen wil
13312 Leider, denne üm alsô vil
13313 Daz wir helfen disem lîbe.
13314 Swâ diu arme sêle ouch belibe.
13315 Diu heilige schrift lêrt allez guot:
13316 Swer si kan und anders tuot
13317 Denne si rîche und arme lêrt,
13318 Des unsêlde zwirent wirt gemêrt.
13319 Pfaffen, münche und nunnen orden
13320 Sint koufliute gesellen worden
13321 Und trahtent mêre wie si gesuochen,
13322 Denne wie si tugent in heiligen buochen
13323 Vinden als wîlent heilige liute.
13324 Wer ist ûf erden einveltic hiute?
13325 Katzen kint gelernet wol mûsen:
13326 Wêr gîtikeit in hundert klûsen,
13327 Swie sêre diu tür ir wêre verspart,
13328 Si tribe ûf unkouf doch ir art.
13329 Ist ein man edel, kiusche und reine,
13330 Wolgezogen, schœn und gemeine,
13331 Milte, senfte, getriuwe, gewêre,
13332 Friuntholt, diensthaft und hofebêre,
13333 Des lîbes ein helt und wol gelêrt:
13334 Doch wirt er selten nu wol geêrt
13335 Nâch sînem werde, swie wol er tuot,
13336 Er habe denne leider irdisch guot.
13337 Des ist der werlde sin verkêrt,
13338 Daz nieman lernet oder lêrt
13339 Denne üm irdisch guot und êre.
13340 Des gebent uns müniche und pfaffen lêre.
13341 Wâ sül wir hin, wem sül wir volgen?
13342 Ist got allen den erbolgen
13343 Die niht behalten sîn gebot,
13344 Sô ist uns armen allen nôt
13345 Daz unser herre uns mêre vertrage
13346 Denne diu heilîge schrift uns sage.
13347 Diu heilige schrift ist sunder gift,
13348 Valscher trôst ist als ein wift.
13349 Gotes vorhte in süezer andâht
13350 Hât manige sêle ze himel brâht.
13351 Swer der heiligen schrift niht ahtet
13352 Und niur der werlde dinc betrahtet,
13353 Waz sol man dem von gote sagen!
13354 Unserm herren sül wirz immer clagen
13355 Daz manige liute sô herte sint,
13356 Daz si gein gotes worte blint
13357 Werdent und dar zuo sô toup,
13358 Daz si ez wegen als ein loup
13359 Daz der wint füert von dem boume:
13360 In disem jêmerlichen troume
13361 Gêt manic mensche, dem gotes lêre
13362 Sîn hertez herze niht mac bekêre.
13363 Swer unsern herren vor ougen hête,
13364 Vil selten er immer missetête:
13365 Sô wölle wir nâch gên unserm sinne
13366 Mêre nâch verlust denne nâch gewinne,
13367 Swenne wir nâch irdischen êren trahten
13368 Und unsers herren lützel ahten:
13369 Hât daz gruntvesten, sô bin ich golt,
13370 Und golde und silber ist nieman holt.
13371 Pfaffen der leien sin verkêrent,
13372 Swenne si mit flîze got niht êrent
13373 Und übersehent und überhœrent
13374 Dâ mite si sich selber tœrent.
13375 Würde ein probst von sînem bischof
13376 Wol gestrâfet, des müeste ouch hof
13377 Ein techant, ob er anders wölte
13378 Tuon denne er ze rehte sölte.
13379 Dar nâch müesten ir undertân
13380 Manigerleie tumpheit lân:
13381 Sô ist nu leider anders niht,
13382 Als wir hœren und als man siht,
13383 Denne "schône du mîn, sô schôn ich dîn,
13384 Sît wir beide schuldic sîn".
13385 Des vinde wir tummer herren mêre
13386 Denne tuomherren, daz müet mich sêre,
13387 Und mêr tôraffen
13388 Denne kôrpfaffen,
13389 Mêr tôrherren
13390 Denne kôrherren.
13391 "Wer kan die besten ûz gelesen,
13392 Wenne nieman wil der bœste wesen?"
13393 Alle fürsten wâren kleiniu kint,
13394 Alliu bistuom, diu noch rîche sint,
13395 Wâren wîlent kleiniu kirchelîn,
13396 Swie ahpêr nu ir pfrüende sîn.
13397 Maniger dunket ein wîser man:
13398 Hêt er als wênic als ich hân,
13399 Er wêr als tôroht als ich bin.
13400 Rîchtuom hât manigerleie gewin,
13401 Armuot verdrücket witze vil,
13402 Kunst ân guot ist affen spil,
13403 Gewin hât mit gewinne pfliht,
13404 Ein kummer ist âne den andern niht,
13405 Guot âne kunst ist tôren glanz,
13406 Kunst mit guote treit êren kranz.
13407 Diu heilige schrift muoz immer sîn
13408 Doch aller künste keiserîn:
13409 Swer die niht lernet in sîner jugent,
13410 Der sol selten grôze tugent
13411 Bî andern künsten lerne
13412 Ze Pârîs oder ze Salerne.
13413 Man vindet kunste ûf erden vil,
13414 Der unser herre niht enwil:
13415 Kunst, adel, schaz sint gar enwiht,
13416 Bekennent si unsers herren niht.
13417 Waz ist werltlicher êren glanz
13418 Denne tôren fröude und affen tanz?
13419 Swelch schuoler selber niht wil lerne,
13420 Der êrt ouch sînen meister ungerne,
13421 Der in gern daz beste lêrte
13422 Dâ mit er unsern herren êrte,
13423 An dem sîn sêle doch muoz beklîben
13424 Wil si bî êwigen fröuden belîben.
13425 Swer niur grôziu buoch wil hœren
13426 Und niht verstên, der wil sich tœren
13427 Swenne er eins buoches niht mêre kan
13428 Denne wie ez sich vorne hebe an:
13429 Wil er sich dâ mit ûf tüemen
13430 Als die sich grôzer friunde rüemen,
13431 Dem ist der künic von Rôme gesippe
13432 Von der alten Adâms rippe.
13433 Selten er lange in êren stêt,
13434 Swer mit valscheit ümme gêt.
13435 Maniger hin ze Pârîs vert,
13436 Der wênic lernet und vil verzert:
13437 Sô hât er doch Pârîs gesehen:
13438 Des müge wir tôren niht gejehen!
13439 Lerne wir kleine dinc, daz uns füege,
13440 Und lâzen uns dâ mite benüege,
13441 Daz sant Johannes Damascên
13442 Und mit im heiliger lêrer zwên
13443 Uns habent geschriben in latîn!
13444 Daz merket ir leien und nemet ez în!
13445 Swaz unser herre uns hât enboten
13446 Bî sînen wîssagen und sînen zwelfboten,
13447 Daz sül wir êren und wol behalten
13448 Und lâzen die grüebel nüzze walten,
13449 Den sanfte mit grüebel nüzzen sî:
13450 Kristen geloube ist wandels frî.
13451 Ein guot tischlachen und ein hemde,
13452 Den engelische nête und bilde sint fremde,
13453 Wert etswenne als manigen tac
13454 Als jenez an dem grôz arbeit lac.
13455 Ketzer habent von êrste ûz brâht
13456 Daz manic dinc ist sît erdâht,
13457 Des kristen geloube wol enbêre
13458 Ob niht ketzer ûf erden wêre.
13459 Maniger ein meister wesen wîl
13460 Und wênt er künne mêr denne ze vîl.
13461 Dem noch nie rehte wart bekant
13462 Wâ von ein meister sî genant,
13463 Und ouch waz dar zuo gehœre
13464 Daz man in gerne sehe und hœre;
13465 Sô schiltet maniger eines andern kunst
13466 Der selten guot, êre oder gunst,
13467 Mit sîner künste hât erworben:
13468 Von nîde ist künste vil verdorben.
13469 Swer einen bickel giezen kan,
13470 Der nimt sich glocken giezens an.
13471 Waz sol tiefiu und grôziu kunst,
13472 Diu niht erwirbet gotes gunst?
13473 Swer hôchfertic ist mit sîner künste
13474 Und niht wirbet nâch gotes günste,
13475 War zuo wil der vil buoche lerne
13476 Ze Pârîs, Orlêns oder ze Salerne?
13477 Dâ von lêrt uns alle schôn
13478 Ein buoch heizet Enchiridion:
13479 "Swaz wir mit unserm sinne niht
13480 Mügen begrîfen, als ofte geschiht,
13481 Daz sül wir die heiligen schrift
13482 Uns heizen lêren, ê zwîfels gift
13483 Unsern gelouben gar verkêre
13484 Und unser sêle unsêlde gemêre."
13485 Swer sîn sêle wölle wol bewarn,
13486 Der lâze alle künste varn
13487 Und diene unserm herren flîziclich
13488 Mit süezer andâht einvelticlich.
13489 Waz sol dem man hôchgültîc buoch,
13490 Grôz schaz ân êre, der êwigen fluoch
13491 Ûf sîn sêle ziuhet dâ mite
13492 Nâch gîtiger meister und pfaffen site?
13493 Zwîfel und bœse gewonheit
13494 Machent der helle strâzen breit.
13495 Swer sich trœstet irdisches guotes
13496 Und mit dem ist gar frîes muotes
13497 Bîz an sîn ende als manic narre.
13498 Der strebet gein der helle pfarre,
13499 Dâ elliu fröude ein ende hât:
13500 Dâ ist weder triuwe noch helfe noch rat.
13501 Eyâ got herre, wie wîten strich
13502 Diu selbe pfarre hât üm sich!
13503 Wie manic sêle dâ wirt verlorn,
13504 Du wendest denne dînen zorn
13505 Von uns und wöllest uns mêre vertragen,
13506 Denne uns dîn diener von dir sagen!
13507 Muotwilliger tôren justieren
13508 Und tummer schuoler disputieren
13509 Mac wol gelîch einander sîn,
13510 Wenne si machent in selber pîn.
13511 Ein arm hôchfertic lobelîn
13512 Hetzet manigen an bern und an swîn.
13513 Swer sînen muotwillen trîbet ûf erden,
13514 Der wil niht himel bürger werden.
13515 Aller meister flîz und lêre
13516 Muoz mit leide wider kêre,
13517 Swâ ein schuoler niht lernen wil:
13518 Der man nu leider siht gar vil,
13519 Die gern hêten guot und êre
13520 Und doch versmêhen der wîsen lêre.
13521 Schuoler strebent von der schuole:
13522 Ê denne si vor irs meisters stuole
13523 Sîn gesezzen siben jâr,
13524 Sô lâzent si schuol und meister gar
13525 Und wispelnt hin und wispelnt her,
13526 Zühte, künste und êren lêr:
13527 Si sprechent denne, man habe si niht
13528 Gelêret, als leider ofte geschiht.
13529 Swer die wârheit alle zît
13530 Wil reden, der wirt ein lemschît
13531 Allen den die valschaft sint;
13532 Manîc mensche gesiht und ist doch blint.
13533 Allez lernen ist enwiht,
13534 Daz sich gein himel rihtet niht.
13535 Swer vil dinges in wil füeren,
13536 Der muoz etswenne mit einem anrüeren.
13537 Man sol niht sêre die heiligen schrift
13538 Durchgrübeln, daz iht der sêle gift
13539 Stecke in valschem honicseime;
13540 Koufbrôt ist niht als daz dâ heime.
13541 Sant Mertîn gar einveltic was
13542 Und ouch der milte sant Niclas
13543 Und manic ander heilic man,
13544 Der ich niht alle genennen kan,
13545 Und sint doch in himelrîche
13546 Vil baz bekant und ûf ertrîche
13547 Denne Arrius und Sabellius,
13548 Fotînus und Pelagius,
13549 Novâcius und Prisciliân
13550 Und manic ander unsêlic man,
13551 Die sich der künste nâmen an
13552 Die man ze banne hât getân.
13553 Wizzet daz der êrsten boten lêre
13554 Einveltic was und hât doch êre
13555 Und sol êre haben êwîclîchen:
13556 Welch kunst ûf erden kan ir gelîchen.
13557 Swâ der heilige geist lêrer ist,
13558 Dâ lernet man vil in kurzer frist.
13559 Wir sîn von juden und von heiden
13560 Bekumen und sölten von in beiden
13561 Mit unserm gelouben sîn gescheiden
13562 Und ir leben sölte uns leiden:
13563 Nu hœr ich sagen, daz etwâ kristen
13564 Bî den jüden haben ir kisten
13565 Und mit den jüden nemen gesuoch:
13566 Ô bœse bilde, ô êwiger fluoch!
13567 Ô verdamtiu gîtikeit,
13568 Wâ ziuhestu hin die kristenheit!
13569 Swer jüden holt und heimlich ist,
13570 Der minnet dich niht, herre Jêsu Krist!
13571 Ir leben lîden wir bî uns wol,
13572 Ân sache e sî nieman tœten sol:
13573 Alein mit valsche sîn durchbort
13574 Ir rât, ir tât, ir schimpf, ir wort,
13575 Doch muoz in leider heimlich sîn
13576 Manic mensche, den twinget kummers pîn,
13577 Den ofte sîn rîcher ebenkristen
13578 Wol möhte ân allen schaden fristen
13579 Ûf guote bürgen oder ûf pfant.
13580 Wer reichet nu sant Oswaldes hant
13581 Oder sant Niclas armen liuten,
13582 Sô si geneigt in welken hiuten
13583 Gênt vor hunger und gerne stürben,
13584 E si mit gesundem lîbe verdürben?
13585 Swen hungert und ist der wête blôz,
13586 Sô wart nie siechtuom sô grôz.
13587 Die juden teilent nâch irem site
13588 Irn zehenden vil baz den armen mite
13589 Denne manic kristen, der vil guotes
13590 Hât und doch bœse ist des muotes:
13591 Des müeze wir manic unbilde klagen,
13592 Daz ofte geschiht bî unsern tagen.
13593 Swenne unser herre ein kummer jâr
13594 Lêt werden üm unser missetat,
13595 Sô kument hin nâch zwei hunger jâr,
13596 Ê denne die gîtigen werdent sat,
13597 Die dâ tuont als nimmer mêre
13598 Wîn sül werden oder getreide:
13599 Daz si nâch guote stên sô sêre.
13600 Daz kumt uns armen ofte ze leide.
13601 Diente wir unserm herren wol,
13602 Sô würden selten hunger jâr.
13603 Dem weder kaste noch keller ist vol.
13604 Wunder ist ob der ezzen getar.
13605 Schelm, hunger jâr, roup und brant
13606 Hânt ofte verderbet manic lant,
13607 Daz doch sîn nôt sît überwant,
13608 Als uns allen ist bekant:
13609 Verliese wir aber milte liute,
13610 Getriuwe und guote ûf erden hiute,
13611 Der sî wir unergetzet immer,
13612 Wenne disiu werlt ie swinder ie grimmer
13613 Leider wirt von tage ze tage;
13614 Got sül wir ez immer klage!
13615 Sô maniger guot und êre gewinnet,
13616 Und sich gemêren daz beginnet,
13617 Sô wênt er sî ein frumer man.
13618 Wol ûf, her Narre, hebt iuch hin dan
13619 Dâ man die rehten frumen nennet,
13620 Wenne iuch nieman dâ bekennet!
13621 Sliefet in iuwern rosse mist
13622 Als ein wibel, dem senfter ist
13623 In dem gestanke in veizter erden
13624 Denne künigen und keisern ûf hôhen pferden!
13625 Man vindet leider manigen hiute,
13626 Der noch minner armer liute
13627 Denne eines vihes ahten wil:
13628 Hât der guotes mit schanden vil,
13629 Dâ bî gêt manic armman
13630 Dem got vil baz sîns rîches gan
13631 Denne im der erden, wenne im ze sêre
13632 Liebet irdisch guot und irdisch êre.
13633 Ich meine die pfaffen mit den leien,
13634 Die an dem vor genanten reien
13635 Der gîtikeit sint genant
13636 Und sus bekant über alliu lant.
13637 Swaz dêmuot und gar süeze andâht
13638 In gotes liebe zuo hânt brâht,
13639 Daz wil hôchfart, nît und unkiusche
13640 Und manic verborgen grôz getiusche
13641 Sêre zestœren und verderben,
13642 Wenne valsch hât leider manigen erben.
13643 Valsch ist gemischet ze manigen dingen,
13644 Diu heil und sêlde uns sölten bringen:
13645 Predigen und messe sint niht frî
13646 Da ensî etswâ ein hêkelin bî;
13647 Got gebe uns ze der sêle ein gelücke!
13648 Wallen hât etswâ bœse tücke
13649 Mit vil manigerleie dingen,
13650 Diu ich niht alliu wil vür bringen.
13651 Vil muscheln und ouch spengelîn
13652 Bedeckent manigen bilgerîn,.
13653 Der durch koufschaz ûz ist kumen
13654 Mêre denne durch der sêle frumen.
13655 Manic gîler sich jêmerlîchen nert,
13656 Des sêle doch niht ze himel vert,
13657 Üm daz leben daz er hât.
13658 Gîlen hât manige mîssetât.
13659 Zuht, güete, milte und ander tugent
13660 Ziert man und wîp, alter und jugent:
13661 Freidigiu wort, eide über eide
13662 Möhten uns von gote scheide,
13663 Ob wir niht anderre sünde têten
13664 Und diz in stêter gewonheit hêten.
13665 Er ist niht verre von der tât,
13666 Swem sanfte tuont diu wort diu er hât..
13667 Bœsiu wort ûz bœsem munde
13668 Habent laster hort in herzen grunde.
13669 In der êrsten kristenheit
13670 Was ein guotiu gewonheit:
13671 Swaz man singen oder sagen wolte
13672 Oder swaz man ouch würken solte,
13673 Daz man ê denne ez geschach
13674 In nomine domini âmen sprach,
13675 Als die zwelfboten heten gelêrt:
13676 Nu hât ez leider sich verkêrt,
13677 Sît unwirde, unbilde unde zorn
13678 Daz selbe wort in habent erkorn:
13679 In nummer dummen namen sprichet
13680 Maniger, swenne er sich gerichet
13681 Mit worten in zorn oder swâ geschiht
13682 Unbillich dinc. Wen sölte niht
13683 Müen daz juden und heiden
13684 Mit eiden von uns sint gescheiden?
13685 Swem sîn vater erhangen wêre
13686 Oder sîn kint, dem wêr vil swêre
13687 Swâ man des leides vor im gedêhte
13688 Und ez mit worten ze ôren im brêhte:
13689 Sol denne unsers herren tôt,
13690 Der durch uns leit unschuldic nôt,
13691 Uns alle sô geringe wegen
13692 Daz wir emziger eide pflegen
13693 Und bî sîner marter swern?
13694 Sô wir uns swacher kriege wern,
13695 Sô mane wir unsern herren got
13696 Leider ofte an sînen tôt
13697 Mit maniger worte wandelungen,
13698 Die bî den alten lernent die jungen.
13699 Wir solten sîn bluot sô geringe niht wegen,
13700 Wölte wir der heiligen lêre pflegen,
13701 Wenne sînes bluotes ein tröpfelîn
13702 Wêr hôchgültiger denne aller der wîn
13703 Und allez daz ie kostbêr ûf erden
13704 Ist gewest und noch mac werden.
13705 Als man unserm herren ze lobe und ze êren
13706 Zwischen ôstern und pfingsten hœrt gemêren
13707 Alleluiâ tegelich,
13708 Alsô gemêrt diu werlt worticlich
13709 Eide über eide von tage ze tage:
13710 Swaz einer dem andern nu sol sage,
13711 Daz underschiuzet er mit eiden
13712 Sô vaste, daz weder jude noch heiden
13713 Sînen ungelouben alsô wölte
13714 Swachen ob er ez tuon ouch sölte.
13715 Got herre, lâ dir geklaget sîn,
13716 Daz tummez volc sô wênic dîn
13717 Schônet von unverstandenheit!
13718 Und daz dîn güete sô vil vertreit
13719 Unzühte, des ist uns allen nôt!
13720 Wol im, der kristenlîche ist tôt!
13721 Swer lügen beschœnet mit eiden,
13722 Der wil sîn sêle von gote scheiden.
13723 Selten er verre mit êren vert,
13724 Swer vil gelinget unde geswert.
13725 Man hœrt von herren etswenne ouch wort,
13726 Diu wîlent von niemanne wurden gehôrt
13727 Denne von gar verschemter diet,
13728 Die man von frumen liuten schiet.
13729 Got herre von himel, wie nôt uns ist,
13730 Daz du sô barmherzic bist!

LXXXIX. Ein mere von einem swerenden kinde.

13731 Ein buoch daz heizet Dialogus,
13732 In dem schrîbet sant Gregôrius
13733 Ein dinc, daz niht bekant ist wîten,
13734 Daz ein Rœmer bî sînen zîten
13735 Hete ein kint, daz strâfte er selten
13736 Und liez ez sweren, fluochen, schelten:
13737 Wenne im ouch leider nieman werte,
13738 Swenne ez unsern herren selber unêrte,
13739 Von sîner bœsen gewonheit.
13740 Nu wart ez siech, und dô ez leit
13741 Von grôzer siuche smerzen grôz
13742 Und ez sîn vater in sîner schôz
13743 Hete und üm ez trûrte sêre,
13744 Dô rief ez: "Were, genanne, were!
13745 Man wil mich zücken!" Dô sprach er:
13746 "Sagâ, vil liebez kint mîn, wer?"
13747 "More, More!" do begonde ez schelten
13748 Unsern herren, daz man im leider selten
13749 Hete gewert, und starp alsô.
13750 Sînes tôdes wurden vil unfrô
13751 Vater und muoter, von den schulden
13752 Sîn armiu sêle muoz immer dulden
13753 Êwige marter unde pîn.
13754 Fünf jâr alt was daz kindelîn,
13755 Als der heilige herre vür wâr
13756 Uns hât geschriben. Got herre, war
13757 Süln die kumen, die elter sint
13758 Und mêre tuont sünden denne daz kint
13759 Mit sweren, fluochen, mit manigen dingen,
13760 Der ich niht darf hie vür bringen,
13761 Wenne ir diu werlt ist leider vol!
13762 Swer sinne hât, der vindet si wol.
13763 Daz aber die liute niht wöllen gestillen
13764 Ir kint und in lâzen iren willen
13765 An allen dingen ûf von jugent,
13766 Des lernent si leider manige untugent,
13767 Mit den si sterbent âne alle riuwe.
13768 Swer sînem kinde wil sîn getriuwe,
13769 Der sol ez in der jugent ziehe,
13770 Daz ez der bœsen bôsheit entfliehe
13771 Und ze den guoten sich geselle:
13772 Sô kumt sîn sêle niht in die helle,
13773 In der daz kleine kindelîn
13774 Muoz leider immer und immer sîn.
13775 Swenne ich ansihe die heiligen schrift,
13776 Sô vinde ich mîner sêle gift
13777 An tûsent steten oder mêre:
13778 Und swenne ich denne her wider kêre
13779 Aber in die werlt, sô trœstet mich,
13780 Des junge und alte trœstent sich
13781 Vil baz denne in die pfaffen sagen.
13782 Wer sölte an gote sô schier verzagen?
13783 Gibt erz niht vor, sô gibt erz nâch.
13784 Wir tuon rehte als ein Beier sprach:
13785 "Wil got daz wir ûf erden leben,
13786 Sô muoz er uns daz köstel geben!"
13787 Eyâ got herre, gîp uns die sinne
13788 Daz wir nâch dîner süezen minne
13789 In disem jâmertal sô werben,
13790 Daz wir niht an der sêle verderben
13791 Und daz ein valscher trôst uns iht
13792 Betriege, des leider vil geschiht!
13793 Wenne in der êrsten kristenheit
13794 Vant man vil mêre reinikeit
13795 Denne in der werlde nu leider sî.
13796 Der tœtlicher sünden gar sî frî,
13797 Der wên ich leider wênic vinden
13798 Bî werltlicher êren kinden.
13799 Hülzîn liute sint nu ûf erden:
13800 Welch rât sol denne der armen werden,
13801 Bî den diu werlt noch stehelîn
13802 Sol werden und adamantîn?
13803 Si ist iezunt halp küpferîn
13804 An triuwen, und halp stüpfelîn
13805 An hilfe, an sippe, an reinikeit,
13806 An aller tugende stêtikeit.
13807 Hôchspitziger dache, vürspitziger liute
13808 Ist vil mêr in der werlte hiute
13809 Denne bî unser veter jâren,
13810 Dô dach und liute einveltic wâren.
13811 Kupfermünze in goldes schîn
13812 Machent manigen einveltigen liuten pîn,
13813 In silbers varwe blî und zin
13814 Betriegent tummer liute sin:
13815 Die münze sint nu sêre genge worden,
13816 Si triegent die werlt und klôster orden.
13817 Scheme dich, gotes crêatûre,
13818 Pfaffe, ritter und gebûre,
13819 Daz fleischlich gelust und irdisch guot
13820 Von im sol wenden dînen muot,
13821 Der lîp und sêle dir hât gegeben
13822 Und gern dir gêbe daz êwige leben,
13823 Wöltestu leben nâch sînem willen
13824 Und dînen muotwillen durch in stillen!
13825 Muotwille und bœsiu geselleschaft
13826 Wöllen leben ân alle meisterschaft,
13827 Muotwille und bœsiu geselleschaft
13828 Nement manigen liuten sinne und kraft,
13829 Muotwille und bœsiu geselleschaft
13830 Machent manige liute kerkerhaft,
13831 Muotwille und bœsiu geselleschaft
13832 Sint gein der helle ein geneiget schaft.
13833 Manic tôr von sînen friunden loufet,
13834 Der anderswâ doch niht verkoufet
13835 Sînen affen zagel als er gedâhte,
13836 Dâ sîn tumpheit in ûz brâhte.
13837 Er vert über sleht und über krump:
13838 Wer wart ie wîse, er wêr ê tump?
13839 Er tuot als ein junc vogellîn,
13840 Daz ê der zît wil flücke sîn
13841 Und ûz sînem neste vellet nider,
13842 Ze dem ez selten kumet wider.
13843 Vil maniger guot und êre erwirbet
13844 In fremden landen, sô verdirbet
13845 Maniger in sînes vater lande:
13846 Der hât beidiu schaden und schande.
13847 Könde jugent wizzen waz künftic wêre,
13848 Vil manige tumpheit si verbêre
13849 Diu houbet und ougen ir machet swêre
13850 Und ouch den biutel ofte lêre.
13851 Dô des alters mückelîn
13852 Ûf sprungen vor den ougen mîn,
13853 Dô tet mir wê der sunnen schîn:
13854 Dô huop sich manigerleie pîn
13855 An mînem lîbe von tage ze tage.
13856 Sorgen, trûren, jâmerklage
13857 Bringent diu langen jâr uns allen,
13858 Swie sêre wir in der jugent schallen:
13859 Sô kurzewîle uns wirt unmêr
13860 Und sô der tôt uns wirt gevêr,
13861 Hân wir denne tumplich unser tage
13862 Verzert, daz müge wir immer klage.
13863 Man siht ir ê der zît vil vallen,
13864 Die wîben wöllen wol gevallen:
13865 Sôgetân vallen ist selten guot,
13866 Ez dorret marc und swendet bluot.
13867 Dô wîlent die jungen sâhen die alten
13868 Zühte, milte und êren walten,
13869 Dô nâmen si guot bilde bî in:
13870 Sît leider pfaffen und leien sin
13871 Ûf karkeit unde gîtikeit
13872 Mêr denne ûf tugent ist geleit,
13873 Des lernent die jungen bî den alten
13874 Karc sîn und bœslich guot behalten
13875 Und selten lachen in süezer güete:
13876 Und die sô selten guot gemüete
13877 Vor grimme nu leider hânt ûf erden,
13878 Welch rât sol dort der sêle werden?
13879 Ein dinc ich iu doch allen künde:
13880 Swer trûric ist üm sîne sünde
13881 Und inneclich von herzen weinet
13882 Swâ er in gotes liebe vereinet,
13883 Des trûren ist unserm herren genême
13884 Und sol uns niht sîn widerzême:
13885 Bleich antlütze aber und trûric herze
13886 Üm irdisch guot ist êwiger smerze,
13887 Der ruowe nimmer hie gewinnet
13888 Und dort dem tiufel niht entrinnet.
13889 Der wîse man Jêsus Syrach
13890 Daz wort in sînem buoche sprach:
13891 "Herzen fröude ist menschen leben,
13892 Sêlîc ist der mensche dem got hât geben
13893 Die genâde, wenne er ist immer rîch
13894 Ûf ertrîche und in himelrîch"!
13895 Werltlîche fröude meine ich niht,
13896 Diu mit der werlde gar hât pfliht.
13897 Nu sül wir aber vürbaz rennen
13898 Und unsern herren baz erkennen.

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Administration: Henrike Lähnemann Zuletzt geändert am 12.11.2004