XCVIII Vo[n] schelten vn[d] flu[e]che[n] vn[d] triegen.

15063 Von schelten, fluochen und von eiden
15064 Wil ich iu niht mêre bescheiden:
15065 Ir wizzet alle selber wol,
15066 Daz ir diu werlt ist leider vol.
15067 Liegen, triegen gênt her vür:
15068 Diu hüetent gerne des nîdes tür,
15069 Bî dem zorne ich si ouch spür,
15070 Metten volget ir drier kür.
15071 Verrâten ist irs bruoder kint,
15072 Der heizet valsch und ist gar blint
15073 Gein allen tugentlichen dingen,
15074 Bôsheit kan er vil zuo bringen.
15075 Liegen ist keine zît ân wandel,
15076 Triegen hât etswenne einen mandel,
15077 Under dem ez hübeschlîchen loschet
15078 Swenne ez schimpfet oder hoschet.
15079 Liegen ist aller sünden kneht
15080 Durch alliu lant, wenne allez unreht
15081 Ist von liegen, triegen kumen:
15082 Nie kein sêle gewan ir frumen.
15083 Zwuo grôze unküste hân ich ervarn,
15084 Vor den sich unsanfte kan bewarn
15085 Swer getriuwe, einveltic und wârhaft ist:
15086 Den triegent die liute gar lange frist,
15087 Die der selben unküste pflegent
15088 Und si vür grôze wîsheit wegent:
15089 Diu êrste ist, swer friuntlich lechelt
15090 Gein uns und uns den rücke hechelt
15091 Mit maniger untriuwe hagedorn,
15092 Des wir uns niht versâhen vorn;
15093 Diu ander ist, swer velschlich zürnet
15094 Ûf einen andern und uns verdürnet
15095 Den wec mit sweren und mit fluochen
15096 Und bî den dingen uns wil versuochen
15097 Waz wir reden ze den meren,
15098 Daz er hin wider müge gesneren ;
15099 Der êrste ist wol Jûdas genôz,
15100 Den andern sol des tiufels schôz
15101 In sînem künicrîche
15102 Behalten ouch êwiclîche.
15103 Vîl manige herren hânt nu den site,
15104 Der ouch irn dienern volget mite:
15105 Swes man si bitet, daz si gewernt
15106 Zehant mit worten und ümme schernt
15107 Ir gelübde mit sô manigen lügen,
15108 Der si sich immer schamen mügen:
15109 Swenne si sprechent: "gerne, gerne",
15110 Kême einer von Kriechen oder von Berne,
15111 Er würde vil lîhte noch ê gewert
15112 Denne jener, dem si gelobten vert.
15113 Swer mich ofte heizet beiten,
15114 Der wil mich schelklich abe leiten,
15115 Des hât uns ein Philosophus
15116 An einer stat geschrîben alsus:
15117 "Noch êrlicher ist ein wâr versage
15118 Denne valsch gelübde von tage ze tage".
15119 Süeziu ümmerede ân triuwen fruht,
15120 Vil klôsterfrouwen ân klôsterzuht,
15121 Âne gotes vorhte grôzin wirdikeit,
15122 Êlich leben ân reinîkeit,
15123 Ân grôze milte hôhez schallen,
15124 Knehte und dierne widerkallen,
15125 Müniche und schuoler ungehôrsam,
15126 Pfaffen und ritter an zühten lam,
15127 Vil geloben und lützel geben,
15128 Bî grôzem rîchtuom swindez leben
15129 Sint got und frumen liuten unwert
15130 In allen landen hiur als vert.
15131 Grüene viehten und grüene tannen
15132 In dürren welden sül wir den mannen
15133 Und ouch den reinen frouwen gelîchen,
15134 Die wir sehen tugentlîchen
15135 Gruonen bî den, die zuht und êren
15136 Niht ahten und aleine sich kêren
15137 An dirre dürren werlde unstête,
15138 Diu selten gruonet in tugenden wête.
15139 Manic dinc sich über jâr grüene beheltet,
15140 Daz weder sumer noch winter eltet:
15141 Als tuont die reinen, die gotes minne
15142 Genzlich enzündet ûzen und inne:
15143 Si glüent und gruonent under des
15144 Als der busch, den Moyses
15145 Sach, der dâ bran und grüene was doch:
15146 Der bediutet unser frouwen magtuom noch.
15147 Nu hât mîns tihtens ros mich brâht
15148 Verrer denne ich hête gedâht,
15149 Daz bringe ich wider mit starken zügen
15150 Und sage iu vürbaz von der lügen.
15151 Ein ieglich mensche ze schirme hât
15152 Lügen vür sîn missetât,
15153 Und swer sich lügen niht enschamt,
15154 Der hât ein ungetriuwez ambt.
15155 Maniger liegens gewont sô gar,
15156 Daz er wol swüere er seite wâr:
15157 Der selbe unzimliche site
15158 Wont nu grozen herren mite:
15159 Swaz si geloben mit dem munde,
15160 Daz hât einen angel ins herzen grunde.
15161 Wölte got, möhte man wol bevesten
15162 Mit irn insigeln und irn hantvesten
15163 Swaz si geloben armen liuten,
15164 Daz si die schrift liezen reht bediuten!
15165 Eîn arman muoz durch kumer liegen
15166 Und sîn friunde etswenne betriegen,
15167 Daz er von herzen ungerne tuot:
15168 Den irret daz guot und niht der muot:
15169 Daz aber ein herre oder ein rîcher man
15170 Liuget, daz stêt im gar übel an.
15171 Si gelobent ofte ir alten kleider
15172 Irn armen dienern, die si leider
15173 Müezen ze den jüden lœsen.
15174 Sôgetân herren dekeinen sô bœsen
15175 Roc habent, den si von der hant
15176 Frîlich lâzen âne pfant:
15177 Zwuo hosen oder ein keppelîn
15178 Muoz einer lœsen ze dem wîn,
15179 Der ez haben wil von in.
15180 Wâ sint die milten herren hin,
15181 Die milticliche konden geben
15182 Und tugentlich ûf erden leben?
15183 Dise hânt friunde, lîp noch guot,
15184 Denne daz der ungeslahte muot
15185 Disiu driu verdrücket
15186 Und ir lop underzücket.
15187 Dise untugent und diz laster breit
15188 Füeget ofte diu grimme gîtikeit.
15189 Ich wên, der betterise lêge,
15190 Daz der noch bezzer ruowe pflêge
15191 Denne einer der swinde nâch guote trahtet
15192 Und sêle und êren lützel ahtet.
15193 Sîn herze ist selten in guoter habe,
15194 Sleht daz korn ûf oder sleht ez abe.
15195 Nu hoffet er, nu zwîfelt er,
15196 Sust wirt er nimmer sorgen lêr.
15197 Sîn lîpnar gêt im worgende în:
15198 Ez sî brôt, fleisch, visch oder wîn,
15199 Daz schatzet er, die wil erz izzet,
15200 Sô swinde, daz er gelustes vergizzet
15201 Den trinken und ezzen im geben sölte,
15202 Ob er menschlich sich neren wölte.
15203 Nu ist sîn herze sô gar bevangen
15204 Mit der grimmen tiufels zangen,
15205 Daz er niht weiz wie er sich nert
15206 Und ob kalt oder heiz in in vert.
15207 Âne sunder sêlde ist aber der niht,
15208 Dem mit sînem guote guot geschiht:
15209 Wenne manic man hât friunde und guot,
15210 Der selten doch ist wolgemuot.
15211 Dâ von wizzet. swâ ich vinde
15212 Gar arme priester und blinde,
15213 Alt und arm hofegesinde,
15214 Lam und schebige edel winde,
15215 Daz mich die gar sêre erbarment,
15216 Und mêr: swâ frume liute verarment,
15217 Daz ir kint unzimliche
15218 Mit sünden leider jêmerliche
15219 Ir nôtdurft müezen hie erwerben.
15220 Swelch rîcher man die lêt verderben,
15221 Die er wol mit kleinem guote
15222 Behielte in rehter zühte huote,
15223 Der ist sînes guotes niht sô milte
15224 Als sant Niclas, den niht bevilte
15225 Er hülfe drîn meiden wol mit vollen
15226 Mit drîn grôzen goldes knollen:
15227 Sôgetân helfer sint vervarn,
15228 Got müeze uns an der sêle bewarn!
15229 Wir fürhten alle daz uns zerinne:
15230 Waz sol grôz guot âne lûter sinne?
15231 Wir sprechen, swer niuset: "Got helfe dir",
15232 Vellet aber er, sô lache wir:
15233 Mit worten kum wir im ze stiure,
15234 Hilfe mit werken ist im von uns tiure.
15235 Swer könde halten unde geben
15236 Ze rehte, der sölte immer leben
15237 Und wêr wol guotes und êren wert.
15238 Wenne gêbe der herre mir ein pfert,
15239 Des kleider sint sô gar beschaben:
15240 Sölte ein flôch dâr an ûf draben,
15241 Er viele daz man in müeste laben,
15242 Wölte aber er ze tal niht snaben,
15243 Sô müeste er sehs fuozîsen haben?
15244 Ô wêrn die bœsen herren begraben
15245 Und daz die mit uns leben sölten,
15246 Die ze geben hêten und geben wölten!
15247 Gar nôtige herren meine ich niht,
15248 (Mit den hân ich, ir diener, pfliht):
15249 Ich meine die herren, die in schatzent
15250 Und vor bôsheit bletze kratzent
15251 An der steige gein Windecke,
15252 Die dem tiufel füllent secke,
15253 Der si mit uns niht vil geniezent
15254 Swie lange, swie vaste si si besliezent,
15255 Denne daz ir herze dâ lît begraben
15256 Daz selten gein himel wirt erhaben.
15257 Wîzzet swer swinde nâch guote trahtet.
15258 Daz der ûf tugent lützel ahtet.
15259 Swer sünde niht vür schande hât
15260 Und schande niht vür missetât
15261 Und nâch sîn selbes sinne gât,
15262 Des sêle, des êre wirt selten rât.
15263 Swer ûf bœse kündikeit
15264 Wort und werc und sinne leit,
15265 Dess herze kaltet als ein îs,
15266 Sô slehtiu einvalt beheltet den prîs.
15267 Lügen doch manigen liuten frument,
15268 Daz si ze grôzen êren kument:
15269 Sô schadet diu wârheit manigem man,
15270 Der niht denne sleht gereden kan.
15271 Trunken liute, tôren und kint
15272 Guotes und übels wârsager sint.
15273 Swer sünde mit sünden büezen wil,
15274 Der ist unsinnic mêr denne ze vil.
15275 Sünde und schande sint underscheiden,
15276 Swer aber sündet der dienet in beiden.
15277 Alliu sünde vor gote ist schande,
15278 Schande ân sünde ofte vert in dem lande.
15279 Schande uns ofte sêlde brenget,
15280 Schande uns ouch von sêlden lenget.
15281 Manic dinc dunket grôziu schande,
15282 An dem man nie kein sünde erkande:
15283 Sô hât man manic dinc niht vür sünde,
15284 An dem man vil mêr wandels fünde
15285 Denne an jenen grôzen schanden,
15286 Der ez nâch gotes lêre sölte anden.
15287 Ez sprichet sant Ysidôrus
15288 In einem sînem buoche alsus:
15289 "Alle liute, als verre si mügen,
15290 Süllen hüeten sich vor lügen."
15291 Swer liegen in ein gewonheit brenget,
15292 Von allen tugenden er sich lenget:
15293 Wenne got selber sprach alsô
15294 In sînem Evangeliô
15295 Von dem tiufel, daz er wêr
15296 Der lügen vater und lügenêr.
15297 Wer kan behüeten sich vor lügen,
15298 Sît got und sîne heiligen mügen
15299 Ze himel niht überic werden
15300 Man liege si an ûf erden?
15301 Nu sül wir aber vürbaz rennen
15302 Und unsern herren baz erkennen.

XCIX. Von gelauben vn[d] getrawen.

15303 Mit êren er die werlt bûwet,
15304 Swem man geloubet und getrûwet:
15305 Dâ von sprach hie vor alsô
15306 Ze Moyses sîn mâc Yetrô:
15307 "Du enmaht niht eine daz volc verrihten:
15308 Wel ûz in man die zuo dir pflihten,
15309 Die gewaltic sîn und wârheit minnen,
15310 Die got fürhten ûzen und innen
15311 Und hazzen alle gîtikeit."
15312 Nu merket wie diu wârheit
15313 Der andern zweier slôz beheltet!
15314 Wol im, der tac und naht ir weltet!
15315 Dem ist got und diu werlt holt:
15316 Wârheit ist bezzer denne golt.
15317 Swer liuget ûf sînen ebencristen
15318 Und mit sînen bœsen listen
15319 Sînen guoten liumunt swachet
15320 Und im haz und arcwân machet,
15321 Daz ist geistlich morden,
15322 Des ist sô vil nu worden
15323 Daz manz niht hât vür sünde.
15324 Vür wâr ich iu daz künde
15325 Daz sîner sêle wirt nimmer rât,
15326 Swer sîn êre einem andern hât
15327 Mit sîner unnützen rede geswachet,
15328 Ob er die niht wider ganz machet
15329 Swâ er si hât zebroehen.
15330 Diz hânt die heiligen gesprochen.
15331 Uns schrîbet mîn herre sant Augustîn,
15332 Daz drierleie morder sîn,
15333 Der sêle dort haben glîche pîn,
15334 Sô man ir schulde in trenket în:
15335 Swer einem sînen guoten liumunt swachet,
15336 Und swer einen menschen lîplôs machet,
15337 Und swer nît und haz gein dem treit
15338 Der selten im ie getet kein leit.
15339 Mit sant Johans er daz beziuget,
15340 Der alsus sprichet und niht enliuget:
15341 "Swer sprichet er minne got alle zît
15342 Und treit gein sînem bruoder nît,
15343 Der ist gein gote ein lügener,
15344 Gein sînem bruoder ein manslehter."
15345 Ein meister sprach, daz lieber im wêr
15346 Ein diep denne ein lügener
15347 Ze tegelichem hûsgesinde:
15348 Des diebes tât ich etswâ vinde,
15349 Der lügener gêt mir lange vor
15350 Der wol kan bergen sîne spor.
15351 Lüge hât manigerleie diebe,
15352 Von den geschiht selten ieman liebe:
15353 Wenne bœser kluokeit ist sô vil,
15354 Daz nieman vinden kan ir zil.
15355 Maniger sprichet, ich heize in liegen
15356 Swenne er liuget, und wil ouch kriegen,
15357 Sprêche ich daz er habe gelogen:
15358 Der wil muotwilliclichen brogen:
15359 Hiez ich in liegen, sô wêr ich schuldic,
15360 Liuget er aber, sô sî gedultic
15361 Ob ich sprêche er habe gelogen:
15362 Hêt er die wârheit vür gezogen,
15363 Der wêr ich lieber im gestanden.
15364 Waz schulde hân ich an sînen schanden?
15365 Maniger schendet selber sich
15366 Und legt die schulde denne ûf mich.
15367 Swen lügen strâfen müet sêre,
15368 Der sölte betrahten vor sîn êre
15369 Und slüzze zuo sînes mundes tür:
15370 Sô kême diu lüge niht her vür.
15371 Wenne liegen, triegen sint zwên site,
15372 Den vil der werlde volget mite:
15373 Liegen, triegen sint sô wert,
15374 Daz man ir ze allen köufen gert;
15375 Liegen, triegen hânt den prîs,
15376 Daz âne si nieman dunket wis;
15377 Liegen, triegen werder sint
15378 Ze hofe denne fürsten kint;
15379 Liegen, triegen füegent daz,
15380 Daz vater kinden wirt gehaz;
15381 Liegen, triegen sint ein bote
15382 Ze allen herren denne ze gote;
15383 Liegen, triegen ist ein schilt,
15384 Mit dem man manige schande hilt;
15385 Swer dirre sprüche mêre wil suochen,
15386 Der frâge nâch hern Frîdankes buochen,
15387 Der manigen spruch gesprochen hât
15388 Von der werlde missetât.
15389 Waz sol diu kunst, diu widerzême
15390 Ist gote und ouch den ungenême,
15391 Die bœser dinge niht engernt?
15392 Swer spiln, steln, unkust lernt,
15393 Valschen rât und urteil geben,
15394 Der hât ein jêmerlichez leben.
15395 Waz sol der mensche, an den nieman
15396 Genzlich sich gelâzen kan?
15397 Ein getriuwer hunt vil bezzer wêre
15398 Denne ein mensche triuwen lêre.
15399 Swer liuget, triuget unde swert
15400 Und anderre untugent sich niht wert,
15401 Der wirt vil schiere got ungenême
15402 Und sölte ouch uns sîn widerzême.
15403 So geloube wir alle einander wol:
15404 Nieman den andern strâfen sol:
15405 "Schône du mîn, sô schône ich dîn,
15406 Sît wir beide schuldic sîn!
15407 Wir müezen einander vil vertragen,
15408 Wölle wir niht nît und haz bejagen!
15409 Tuon ich diz, sô tuostu daz,
15410 Dâ von geloube mir dester baz!"
15411 Swer ez eben merken wil,
15412 Sô sleht man fremder kinde vil
15413 Und fremder wîbe mit nîdes zungen.
15414 Die alten strâfen ie die jungen:
15415 Wenne sô diu werlt ie lenger stêt,
15416 Sô grôziu unzuht ie verrer gêt.
15417 Dâ von hœre wir leider selten,
15418 Daz ieman wölle vertragen schelten.
15419 Lop ein ieglich man vertreit,
15420 Schelten ist uns allen leit.
15421 Swie rîch, swie arm, swie bliuge wir sîn,
15422 Doch hœre wir alle ein lobelîn
15423 Vil lieber denne ein schelten:
15424 Daz hœrt gern ieman selten,
15425 Er si mehtic oder kranc.
15426 Dâ von sprach her Frîdanc:
15427 "Lop ein ieglich man vertreit,
15428 Schelten ist uns allen leit."
15429 Swer tumme liute und herren lobet,
15430 Der machet daz ir herze tobet,
15431 Wenne si wênent si sîn die
15432 Ûf erden, die si wurden nie.
15433 Manic tôr gar ze einem affen wirt,
15434 Sô man mit valschem lobe in smirt.
15435 Von schelten werde wir ungedultic,
15436 Wir sîn schuldic oder unschuldic:
15437 Des entâten die heiligen niht hie vor,
15438 Der herze truoc gedult enbor..
15439 Vil manic dinc hân ich verkêrt
15440 Andern liuten, daz sich gemêrt
15441 Hât an mir von tage ze tage,
15442 Und kan doch noch niht wol vertrage
15443 Ich strâfe die liute üm daz etswenne,
15444 Des ich gar genuoc an mir bekenne.
15445 Strâfen wont uns allen bî,
15446 Wer ist der gar ân wandel si?
15447 Amos der wîssage wîlent sprach,
15448 Dô er der werlde untugent sach:
15449 "Si hazzeten sêre den an der pforten,
15450 Der si strâfte mit wâren worten;"
15451 Ysaias an gotes stat
15452 Alsus ouch gesprochen hât:
15453 "Diz volc lobt mich mit dem munde
15454 Und treit doch valsch in herzen grunde."
15455 Wir vinden geschriben daz vür wâr,
15456 Daz Rôme siben hundert jâr
15457 Von Rômulô gostiftet wêre,
15458 Ê denne unser frouwe Krist gebêre.
15459 Dô der juden künic was
15460 Ze Jerusalem Ezechias,
15461 Dô lebte Amos und her Ysaias,
15462 Als ich vür wâr geschriben las
15463 An einem buoche, daz ist genant
15464 Der Schrifte Sâme über elliu lant.
15465 Nu merket wie verre die zwên wîssagen
15466 Ûf unsers herren zuokunft iagen,
15467 Wie verre der gotes tougen sach,
15468 Der siben hundert jâr vor sprach:
15469 "Seht dar, nemt wâr, ich wil iu wern:
15470 Ein magt sol uns einen sun gebern!"
15471 Swaz si dâ sprâchen, daz wart wâr:
15472 Und des sint nu zwei tûsent jâr,
15473 Der sich noch lützel sol vergên!
15474 Dâ lâze wir die rede bestên.
15475 Wer zwîfelt daz niht die zwên prophêten
15476 Dirre werlde untugent begriffen hêten
15477 Bî den untugenden, die dâ wâren
15478 Hin und her bî iren jâren?
15479 Ouch sprach der wissage Jeremias,
15480 Der heilic in sîner muoter was:
15481 "Si habent lügen mit unêren
15482 Begriffen und wöllen niht wider kêren.
15483 Ich merkte und hôrte ouch ân gevêre:
15484 Ir keiner rette daz guot wêre.
15485 Riuwe üm sîn sünde hete nieman:
15486 Si sprâchen: 'Waz hân ich getân'?
15487 Ûf irren louf sint si gewant
15488 Als ein pfert, daz kumt gerant
15489 Mit ungedult in einen strît."
15490 Disiu wort werdent nu wâr alle zît.
15491 Man fünde noch als arge liute
15492 In der kristenheite hiute
15493 Als dâ bî juden und bî heiden,
15494 Der si wol könde ûz gescheiden.
15495 Swer gerne hôchfertic und übel wêr,
15496 Daz biutel und hant dem ofte ist lêr
15497 Daz süln die guoten selten klagen;
15498 Wol im, der wol kan vertragen!
15499 Swer sîn selbes friunt niht ist,
15500 Der ist mîn friunt ein kurze frist.
15501 Swer tegelich mit im selber strebt,
15502 Unlange der güetlich mit mir lebt.
15503 Wizzet er ist ein sêlic man,
15504 Der williclich vertragen kan
15505 Ob man unbillich in beswêrt
15506 Und mit unküsten in ervêrt:
15507 Sô wirt dem selten leides buoz,
15508 Der âne sînen danc vertragen muoz.
15509 Waz sol diu êre, waz sol daz guot,
15510 Bî dem der mensche hât swinden muot?
15511 Swer ein getriuwez herze hât,
15512 Der ist rîche an aller stat.
15513 Waz sol der ruom und der gewalt,
15514 Der ê der zît uns machet alt?
15515 Ein lebender hunt ist bezzer vil
15516 Denne ein tôt lewe, swerz merken wil ;
15517 Eins keisers lîp vil bœser ist
15518 Nâch tôde denne eins hundes mist.
15519 War kumt diu hôhe wirdikeit,
15520 Diu an daz kranke âs was geleit
15521 Daz unreine maden und kröten nert,
15522 Swenne diu sêle ûz im vert?
15523 Pfi dich armez menschelîn,
15524 Dem ofte ein distel spitzelîn
15525 Oder ein vil kleinez würmelîn
15526 Wê tuot und machet grôze pîn!
15527 Waz möhte krenker ûf erden sîn
15528 Und daz doch hête sô werden schîn?
15529 Waz frumt daz einer vil guotes gewinnet,
15530 Ob im des lîbes ê zerinnet
15531 Denne er des guotes sich geniete?
15532 Dem wirt galle vür honic ze miete.
15533 Der milte zert ofte daz guot frœliche,
15534 Üm daz der karge sich jêmerliche
15535 Hât gewürget und genagen;
15536 Wer gesach ie dorne vîgen tragen?
15537 Der mastswîne leben nieman frumt,
15538 Ir tôt vil baz ze staten kumt:
15539 Alsô ist der grimmen kargen liute
15540 Tôt nützer denne ir leben hiute:
15541 Wenne etlichez armez wirt berâten,
15542 Sô man teilt spec, würste und brâten.
15543 Wizzet daz nie kein karger man
15544 Bî gotes kinden stat gewan.
15545 Swer wil ze himel burger werden,
15546 Der muoz milte sîn ûf erden:
15547 Wenne gîtige liute, karc und rîche,
15548 Sint seltsên geste in himelrîche.

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Administration: Henrike Lähnemann Zuletzt geändert am 06.07.2004