CXVI Von gotes kinden vnd von mu[e]nchen vn[d] pfaffen.

18001 Nu sül wir loufen in den walt
18002 Der heiligen schrift, der junc und alt,
18003 Holz, loup, gras und bluomen hât,
18004 Ze den vil manic grasic pfat
18005 Gêt, der selten wirt gebent:
18006 Wenne sich diu kristenheit mêr sent
18007 Nach dirre wilden werlde wunne
18008 Denne nâch der êwigen fröuden sunne.
18009 Dâ von stêt vaste, lieben leien,
18010 Und hüetet iuch alle vor den reien,
18011 Die dâ vor geschriben sint!
18012 Münche und pfaffen sint gotes kint:
18013 Als si von anegenge ie wâren,
18014 Des gelîche siht man si wol gebâren:
18015 Wenne têten si daz uns verboten
18016 Wirt von in, sô wêren si boten
18017 Eins herren, dem valsch und trügenheit
18018 Wêr lieber denne gerehtikeit.
18019 Des endarf si nieman zîhen!
18020 Wer wölte einen ze priester wîhen,
18021 Der niht ein reinez leben hête
18022 Mit worten, mit werken und mit wête?
18023 Süln gotes diener reine sîn,
18024 Sô gêt ir lêre uns sündern în.
18025 Swer wol lêrt und ez selber tuot,
18026 Daz gêt den liuten in den muot.
18027 Wizzet und wêren die tiufel tôt,
18028 Münche und pfaffen kêmen in nôt:
18029 Wenne si müesten hungers sterben,
18030 Könden si nâch guote niht anders werben
18031 Denne mit gebete und mit gesange:
18032 Ich wên si müesten singen lange
18033 Ê denne man in iht gêbe durch got,
18034 Swenne die tiufel wêren tôt.
18035 Sus diene wir gote betwungen,
18036 Die alten mit den jungen,
18037 Und haben der bœsen herren site
18038 Der ir manigem volget mite:
18039 Daz si durch vorhte ros und gewant
18040 Den lötern gebent, die si zehant
18041 Schelten, sô si von in gênt,
18042 Sô jene sprechent, die dâ stênt:
18043 "Wer gap, wer gap?""Der muoter sun!"
18044 Der entorste iezunt niht anders tuon:
18045 Hêten drîzic dürftigen im zuo getreten,
18046 Si enhêtenz im niht ab erbeten.
18047 Wizzet swaz man betwungen tuot,
18048 Daz daz selten wirt immer guot.
18049 Swer sünde mîdet hie ûf erden,
18050 Daz er der helle müge über werden
18051 Und niht durch gotes liebe lât
18052 Die sünde, des sêle wirt selten rât:
18053 Ê denne sîn lîp kume in daz grap,
18054 Sô schrîent die tiufel: "Wer gap, wer gap?"
18055 "Daz tet dirre muoter sun:
18056 Daz er durch got niht wolte tuon,
18057 Daz tet er durch unsern willen:
18058 Dâ von sül wir in nu villen,
18059 Daz er durch vorhte mêre hât getân
18060 Denne durch got!" Gedenket dar an
18061 Vil lieben alle und minnet got
18062 Und mîdet sünde durch sîn gebot,
18063 Und durch sîn liebe dennoch mêre:
18064 Daz bringet iu stêter fröuden êre.
18065 Wir wêren ze himel alle gern:
18066 Wenne wöll wir beten und vasten lern
18067 Und daz wir gern almuosen geben?
18068 Wir wöllen nâch unserm willen leben
18069 Und daz uns dennoch got dort lône
18070 Mit êwigen fröuden vor sînem trône.
18071 Daz ist doch gar unmügelîch
18072 Daz ieman habe zwei himelrîch,
18073 Daz er von fröuden in fröude var
18074 Und ahpêr dort und hie sî gar:
18075 Wenne sant Gregôrius wîlent sprach,
18076 Dô er der werlde fröude an sach:
18077 "Ich enweiz niht wes ich mich sol trœsten,
18078 Sît got liez sant Laurenzen rœsten,
18079 Pêter kriucigen, Stephân steinen;
18080 Sîn grôze diener mit den kleinen
18081 Liez er ûf erden jêmerlîche
18082 Handeln üm daz himelrîche,
18083 Und selber durch mich wart gevangen
18084 Und nacket an ein kriuze gehangen!"
18085 Swer diz in sînes herzen grunde
18086 Wölte bedenken ze aller stunde,
18087 Der würde selten immer frô
18088 Und ahtet niht ûf der werlde drô.
18089 Swer êre, gunst und guot wil bejagen
18090 Ze hofe, der muoz vil vertragen,
18091 Diz überhœren, jenez übersehen,
18092 Sô mac im liebes vil geschehen.
18093 Seht diz mant uns alle gelîche!
18094 Die gerne kêmen ze himelrîche,
18095 Die müezen übels vil vertragen
18096 Und süln an gote niht verzagen.
18097 Ob siuche, armuot oder gewalt si trüebet,
18098 Got mit den drin die sînen üebet.
18099 Swem ein irdisch herre genêdic ist,
18100 Des gewalt doch wert unlange frist,
18101 Der hoffet er werde von im berâten,
18102 Als ie der herren diener tâten:
18103 Swie getriuwe er ist, swie wol gezogen,
18104 Doch fürhtet er daz er werde verlogen
18105 Und daz er ouch sînen dienst verliese,
18106 Ob er einen andern herren kiese:
18107 Der werde des obersten herren kneht,
18108 Der keinem sînem diener tuot unreht,
18109 Der grôz lôn üm kleinen dienst wil geben,
18110 Um irdisch dienst daz êwige leben.
18111 Man vindet manigen hofewart
18112 Dem sorge machet grâwen bart,
18113 Sô langes dienstes in verdriuzet
18114 Und er des hofes niht geniuzet.
18115 Swer lange muoz fremder koste warten,
18116 Der gewinnet grâ hâr in der swarten.
18117 Wê dem armen, der nieman hât
18118 Ze dem er trôst, hilfe oder rât
18119 Suoche in kummer oder in nœten!
18120 Den mac schier tegelîch sorge tœten!
18121 Doch lebt nieman sô jêmerlich
18122 Er sî gein tusent marken rîch,
18123 Die wîl er daz hât daz nieman
18124 Ûf ertrîch im vergelten kan.
18125 Daz wehsel nieman übel zême,
18126 Swer zwuo marc goldes vür eine nême:
18127 Um tûsent nasen wölte ich niht
18128 Mîn nasen geben; swer niht gesiht,
18129 Der nême ein liehtez öugelîn
18130 Vür aller der werlde ougen schîn:
18131 Wenne swer âne hilfe der ougen belîbet,
18132 Sô trûric naht den tac ûz trîbet,
18133 Der hât ane zwîfel senden smerzen
18134 Und gedenket ofte in sînem herzen:
18135 Wîlent was ich den liuten zart,
18136 Nu sitze ich als ein schembart
18137 Trûric als ein flühtic hûwe,
18138 Mir selber und andern liuten ein grûwe.
18139 Mîn ougen, den ir liehten schîn
18140 Zierten zwei brûniu krenzelîn,
18141 Diu sint nu vinster und übel gestalt,
18142 Wenne über in hanget ein rûher walt.
18143 Got herre, war zuo bin ich gedigen,
18144 Daz ich sô jêmerlich muoz ligen
18145 Als ob ich slâfe und halp sî tôt!
18146 Sol ich grüene, gel, blâ, wiz, rôt
18147 Ûf erden nimmer mêr beschouwen,
18148 Manic schœne antlütze, man und frouwen,
18149 Berge und tal, vogel und tier?
18150 Ach milter got, sô hilf mir schier
18151 Daz ich ze dînen genâden kume,
18152 Sît ich der werlde niht mêr frume!
18153 Got herre, wie maniger wunnen schîn
18154 Durch zwei vil kleiniu vensterlîn
18155 Dîn milte güete dem menschen gît,
18156 Daz hôch, breit, lanc und wît
18157 Zwei sô smaliu spiegellîn
18158 Begrîfent und ir frœlich schîn
18159 Den slangen tœtet, wolfe schrecket,
18160 Strûzeier brüetet, ûzsaz erwecket
18161 Und ander krefte hât gar vil,
18162 Der ich niht mêr hie schrîben wil,
18163 Wenne ich müeste ûz der strâzen rennen
18164 Und mînes tihtens louf zetrennen!
18165 Got hât der kristenheit geben
18166 Driu besunderlichiu leben:
18167 Êlich, geistlich und rihtêre.
18168 Mit drîn herren ich daz bewêre:
18169 Êlich leben lêrt uns her Job,
18170 Daniêl geistliches lebens lop,
18171 Nôê der rihter leben wac
18172 Dô er aleine der archen pflac,
18173 In der vor der sinflüete genas
18174 Allez daz dâ lebende was:
18175 Swer diz mit flîze suochen wil,
18176 Der vindet sîn in der bibeln vil.
18177 Ein ieglich heilige hât sunder lop,
18178 Iedoch Tobiam und ouch Job
18179 Ziert besunder êlich leben:
18180 Swer der tugende merket eben
18181 Und nâch ir beider lêre tuot,
18182 Der hât lîp und sêle behuot.
18183 Ein dinc von herzen übel zimt:
18184 Swer bilde bî bœsen dingen nimt,
18185 Ob der bî guoten dingen niht
18186 Sich bezzert, daz man selten siht.
18187 Swâ alter wunden narwe swirt
18188 Und altez laster niuwe wirt,
18189 Swer daz möhte vor bewarn,
18190 Der hête zwirunt wol gevarn.
18191 Nu hœrt waz uns an einer stat
18192 Sant Gregôrius geschriben hât:
18193 "Swelch gemüete bekümmert ist
18194 Mit ûzer begerunge ze aller frist,
18195 Daz wirt heiz vil selten inne
18196 Von der süezen gotes minne."
18197 Ouch schrîbet mîn herre sant Augustîn
18198 Einen spruch, den ziuhe ich dâ her în:
18199 "Swer gedêhte sînes lîbes brœdikeit
18200 Und sîner sêle wirdikeit,
18201 Dirre wilden werlde unstêtikeit
18202 Und sîner sünden unflêtikeit,
18203 Der êwigen pîn unmêzikeit,
18204 Der êwigen fröude reinikeit:
18205 Der hüette sich an aller stat
18206 Vor allerhande missetât!"
18207 Dâ von sprach sant Bernhart,
18208 Der manigen spruch wol hât bewart:
18209 "Swer lebt im selber ordenlich,
18210 Sînen ebenkristen geselliclich
18211 Und ouch gein got dêmüeteclich,
18212 Des sêle wirt sêlic êwiclich."

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Administration: Henrike Lähnemann Zuletzt geändert am 02.06.2004