LXX. Von bo[e]ser gewonheit dez me[n]sche[n].
10625 Bœsiu gewonheit hât vil mêre
10626 Nâchvolger denne der man êre
10627 Hête und frumen ûf ertrîch
10628 Und êwige fröude in himelrîch.
10629 Des sprechent die wîsen: vil tuot lêre,
10630 Sô tuot gewonheit dennoch mêre.
10631 Wâriu lêre sprichet: "fürhte got
10632 Und behalt mit flîze sîn gebot;"
10633 Gewonheit sprichet: "Bis hôchgemuot,
10634 Got tuot dir niht, er ist sô guot!"
10635 Wâriu lêre sprichet: "Bis wol gezogen!"
10636 Gewonheit sprichet: "Bis gar betrogen!"
10637 Wâriu lêre sprichet: "Bis rein und kiusche!"
10638 Gewonheit sprichet: "Lebe mit getiusche!"
10639 Wariu lêre sprichet: "Bis gar bescheiden!"
10640 Gewonheit sprichet: "Lebe als ein heiden!"
10641 Wâriu lêre sprichet: "Bis senfte, mêzic!"
10642 Gewonheit sprichet: "Bis mördisch, frêzic!"
10643 Wâriu lêre sprichet: "Bis milte, reine!"
10644 Gewonheit sprichet: "Bis ungemeine!"
10645 Wâriu lêre sprichet: "Fliuch gîtikeit,
10646 Diu aller schanden angel treit!"
10647 Gewonheit sprichet: "Gewin guot,
10648 Swie du maht, daz ist dir guot!"
10649 Wâriu lêre sprichet: "Hüete dich vor spil,
10650 Daz bringet schaden und schanden vil!"
10651 Gewonheit sprichet: "Bis tôren geselle,
10652 Wer gesach ie vegefiur oder helle?"
10653 Wâriu lêre sprichet: Du solt niht steln
10654 Und solt dînes friundes laster heln!"
10655 Gewonheit sprichet: "Lâz dir bediute
10656 Mînen sin und lebe als ander liute!"
10657 Wâriu lêre sprichet: "Bis getriuwe,
10658 Sô wirt dîn lop ganz und niuwe!"
10659 Gewonheit sprichet: "Man muoz liegen
10660 Und guote friunde etswenne betriegen!"
10661 Wâriu lêre sprichet: "Swer niht eide,
10662 Wiltu niht von gote scheide!"
10663 Gewonheit sprichet: "Du muost swern,
10664 Wiltu dich valscher triuwe nern!"
10665 Wâriu lêre sprichet: "Bis gedultic,
10666 Du sîst schuldic oder unschuldic!"
10667 Gewonheit sprichet: "Man drücket dich nider,
10668 Du setzest dich denne gar vaste wider!"
10669 Wâriu lêre sprichet: "Rihte dîn leben
10670 Nâch unsers herren willen eben!"
10671 Gewonheit sprichet: "Du muost verderben,
10672 Wiltu nâch guote und êren niht werben!"
10673 Wâriu lêre sprichet: "Ganc ze mette!"
10674 Gewonheit sprichet: "Lige ûf dînem bette:
10675 Ein diep stêt lîhte vor der tür,
10676 Der mordet dich, gêstu hin vür!"
10677 Wâriu lêre sprichet: "Du solt bîhte
10678 Und mache dîn sêle von sünden lîhte!"
10679 Gewonheit sprichet: "Gehabe dich wol:
10680 Ein siecher mensche bîhten sol!"
10681 Wâriu lêre sprîchet: "Wir müezen sterben,
10682 Du solt nâch êwigen fröuden werben!"
10683 Gewonheit sprichet: "Swaz ist beschert,
10684 Dem menschen wirt daz swâ er vert!"
10685 Wâriu lêre sprichet: "Trahte niht sêre,
10686 Wie sich dîn irdisch guot gemêre!"
10687 Gewonheit sprichet: "Habe guot und êre
10688 Und kêre dich niht an pfaffen lêre!"
10689 Wâriu lêre sprichet: "Krankez leben
10690 Hât got uns allen ûf erden geben!"
10691 Gewonheit sprichet: "Bœse mit den frumen
10692 Hât ie des tôdes kraft genumen!"
10693 Wâriu lêre sprichet: "Wê der nôt,
10694 Ze der uns alle bringet der tôt!"
10695 Gewonheit sprichet: "Wir müezen klagen,
10696 An got aber nieman sol verzagen!" -
10697 Die alten sprechent: 'Je elter, ie erger',
10698 Die jungen sprechent: 'Je rîcher, ie kerger'.
10699 Nu wê der werlde von ergerungen,
10700 Die gotes lêre hânt sêre verdrungen!
10701 Wir sehen unbildes vil gesehehen!
10702 Swer unserm herren sich wil nêhen,
10703 Dem sint der heiligen schrift wort
10704 Vil lieber denne kein leger hort:
10705 Wenne gotes wort die sêle ûf rücket.
10706 Die leger hort nider hât gedrücket.
10707 Got herre, wenne wirt dîn volc sô reine,
10708 Daz rîchen und armen sî gemeine
10709 Ir guot, daz si von dîner güete
10710 Hânt ûf erden, und ir gemüete
10711 Von dir wendent und sich blendent
10712 Und êwiclich ir sêle schendent,
10713 Swenne si dir, herre, niht getrûwent
10714 Und vil vach über einander bûwent,
10715 In den si wîn und korn behalten
10716 Als ob si süln âne ende walten
10717 Guotes und êren ûf ertrîche
10718 Als du, herre, in himelrîche!
10719 Dise eigenschaft, dise armen êre
10720 Hât niendert dîner boten lêre
10721 Geprediget in der kristenheit,
10722 An die diu werlt irn flîz nu leit!
LXX Von ergerunge.
10723 Nu wê der werlde von ergerungen,
10724 Die von den alten lernent die jungen!
10725 Ergerunge swachet lîp und sêl,
10726 Dâ von sprach Ezechiel:
10727 "Verfluochet sî der, der sîn swert
10728 Von bluote enthabt des got niht gert:"
10729 Daz ist, swer die sünden niht
10730 Strâfet, sô er si sünder siht.
10731 Sünde bezeichent uns daz bluot,
10732 Daz swert die zungen: swer missetuet,
10733 Den sölte wir strâfen, junge und alte,
10734 Wölte wir gotes lêre behalte:
10735 Des entuo wir leider niht:
10736 Unbillicher dinge deste mêre geschiht.
10737 Getrûwet wir unserm herren wol,
10738 Sô würden uns kisten und kasten vol
10739 Alles des wir dörften ûf erden,
10740 Sô wölle wir rîche und ahtbêr werden
10741 Von uns selber ân sîn stiure:
10742 Des wirt beidiu wîn und korn tiure
10743 Und allez des wir sölten leben:
10744 Wer wil âne danc ieman iht geben?
10745 Nu wê der werlde von ergerungen,
10746 Die vür alle tugent sîn gesprungen!
10747 Swâ valsche lêrer und judisten
10748 Mit lêre verkêrent ir ebenkristen,
10749 Dâ wirt des endekristes schar
10750 Gemêrt und kumt er nimmer dar.
10751 Wer lernet nu durch heilikeit,
10752 Durch tugent und durch reinikeit?
10753 Man lernet mêre durch freidikeit,
10754 Durch hôchfart und durch gîtikeit,
10755 Durch wollust und durch gelîchsenheit
10756 Diu maniger sünden insigel treit.
10757 Einveltic kunst ist leider tôt,
10758 Driveltic unkust izzet herren brôt.
10759 Sô der werlde sô bœse bilde
10760 Pfaffen und leien machent wilde,
10761 Swâ geistliche liute ungeistlich sint,
10762 Swâ wîse sich dunkent kleiniu kint,
10763 Swâ wegewîser sint selber blint,
10764 Swâ der lewe muoz fürhten ein rint,
10765 Swâ unreht dem rehten dröuwet:
10766 Dâ werdent die wîsen wênic gefröuwet.
10767 Nu wê der werlde von ergerungen,
10768 Nâch den die tiufel ie habent gerungen!
10769 Swelhe pfaffen karc und gitic sint
10770 Bî grôzem guote, die sint blint
10771 Gein gote und gein irn ebenkristen,
10772 Wenne ir abgöte sint die kisten.
10773 Pfaffen guot sölte armer liute
10774 Sîn ze rehte: nu siht man hiute
10775 Daz manic pfaffe ez gîticlîche
10776 Sament und vil ungelîche
10777 Teilt mit den armen, der diener
10778 Und spîser er billicher wêr.
10779 Swer jungen liuten bœse bilde
10780 Vor treit und si machet wilde,
10781 Der muoz got antwürten an der stat
10782 Dâ kunst und guot ein ende hât.
10783 Sîn sünde ouch der vil sêre gemêrt,
10784 Der ander liute sünden lêrt.
10785 Wenne er muoz üm der selben leben
10786 Unserm herren antwürte geben.
10787 Nu wê der werlde von ergerungen,
10788 Die manic herze habent betwungen!
10789 Swâ die jungen sehen die alten
10790 An worten, an werken unzühte walten,
10791 Dâ nement si bœse bilde bî:
10792 Der werlde ist wênic unzühte fri.
10793 Man hât ein wunden schier geslagen,
10794 Diu geheilet aber kûm in manigen tagen.
10795 Doch wizzet daz allin missetât
10796 Grœzer ergerunge an pfaffen hât
10797 Denne an leien, wenne ir leben
10798 Sölte guot bilde uns allen geben.
10799 Nu kan von Rôme nieman verjagen
10800 Grôze ergerunge, hœre ich sagen,
10801 Dâ der kristenheit stuol
10802 Ist und unsers gelouben schuol.
10803 Swâ pfaffen und alle geistliche liute
10804 Ze gotes dienste ungern sint hiute,
10805 Dâ ergernt sich vil leien mite
10806 Und ist ein schedelicher site.
10807 Nu wê der werlde von ergerungen,
10808 Die gotes liebe hânt hin geswungen!
10809 Manic mensche vil milte wêr,
10810 Sêhe ez die kargen gîtiger
10811 Bî grôzem guote ouch milte walten:
10812 Nu bôsent die jungen mit den alten.
10813 Als manigen menschen hâstu erslagen,
10814 Als manigen du bî dînen tagen
10815 Boese bilde hâst vor getragen:
10816 Die heiligen schrift hoere wir daz sagen,
10817 Als ich geschriben hân dâ vor
10818 Und var noch ûf dem selben spor.
10819 Swâ geistliche liute mördisch sint,
10820 Verrâter und an tugenden blint:
10821 Dâ wart nie ergers iht ûf erden
10822 Und kan ouch unsanft immer werden.
10823 Denne swâ untât von dem geschiht
10824 Ze dem man guotête sich versiht.
10825 Nu wê der werlde von ergerungen,
10826 Bî den nieman ist wol gelungen!
10827 Swer roubet, stilt, spilt, luodert, mordet,
10828 brichet, guot mit sünden hordet,
10829 Bî dem nement ouch junge liute
10830 Bœse bilde ûf erden hiute.
10831 Swelch pfaffe pfrüende hât und zwuo pfarre,
10832 Der machet ouch daz ein ander narre
10833 Nâch pfruenden und nâch pfarren wirbet
10834 Und an der sêle mit im verdirbet.
10835 Unrehter dinge ist nu sô vil,
10836 Daz ich etswenne wênen wil
10837 Unreht sî reht und reht sî unreht.
10838 Sît ir alle hœrt und seht,
10839 Daz pfaffen und münche sin dar ûf gêt
10840 Daz vor in niht geschriben stet:
10841 Swâ die leien daz vernement,
10842 Bœse bilde si dâ bî nement.
10843 Nu wê der werlde von ergerungen,
10844 Die schendeliet uns habent gesungen!
10845 An frîtagen und an vastetagen
10846 Siht man den jungen ouch vor tragen
10847 Pfaffen und leien bœse bilde:
10848 Sus werdent si mit einander wilde.
10849 Wir haben alle kristen namen,
10850 Der werke müge wir uns aber schamen
10851 Diu man von uns hœrt und siht:
10852 Diu hellent mit Cristes werken niht.
10853 Der arm und dêmüetic was ûf erden:
10854 Sô wölle wir rîch und ahpêr werden
10855 Und grôze êre haben ûf ertrîch
10856 Und dennoch kumen ze himelrîch
10857 Nu wê der werlde von ergerungen
10858 An bœsen worten, an bœsen zungen!
10859 Gar bœsiu wort, swern und liegen,
10860 Unkiusche, untriuwe, unbillich kriegen
10861 Hœrent die jungen von den alten,
10862 Daz lange wirt von in behalten.
10863 Sît allez daz ist veile worden,
10864 Pfrüende, pfarre und klôster orden
10865 Und swâ mit man helfen sölte
10866 Den sêlen, der rehte leben wölte.
10867 Sô füerte billich an irem reien
10868 Mit bistuomen und mit abbateien
10869 Diu gîtikeit werltliche fürsten.
10870 Ob man den bâbest ouch siht dürsten
10871 Nâch irdischem schatze ûf erden?
10872 Wie sol unser geloube veste werden,
10873 Sô sîn siule sich neigent alle
10874 Gein des êwigen tôdes valle?
LXXI. Von d[er] h[er]ren Abtgo[e]ten.
10875 Der heiden abgöte wâren silber und golt:
10876 Den sint die kristen noch sô holt,
10877 Daz abgöte vil ûf erden ist.
10878 Lâ dich erbarmen, herre krist,
10879 Daz man dir niht getruwen wil!
10880 Wenne vil und vil und mêre denne vil
10881 Mügen manîc herze niht erfüllen!
10882 Wem sölte gein dirre unmâze niht wüllen?
10883 Abgöte, als ich gelesen hân,
10884 Wâren kobolde und taterman:
10885 Si heten munt und sprâchen niht,
10886 Si heten ougen und sâhen niht,
10887 Si heten ôren und hôrten niht,
10888 Si heten hende und griffen niht,
10889 Si heten füeze und giengen niht,
10890 Si heten keln und schriren niht:
10891 Swer karge rîche liute an siht,
10892 Des selben er ouch von in giht:
10893 Si habent ougen und sehent niht,
10894 Swie wê den armen von in geschiht;
10895 Si habent ôren, dâ gêt niht în
10896 Armer liute kummers pîn ;
10897 Si habent hende und gebent niht;
10898 Si habent munt und swâ geschiht
10899 Den armen unreht, dâ swîgent si zuo;
10900 Ir füeze gênt selten spât oder fruo
10901 An kein gerihte durch arme liute,.
10902 Die niht in habent ze geben hiute:
10903 Diz sint nu der werlde abgöte.
10904 Daz aber si helfen in grôzer nœte
10905 Den armen und in ze staten knmen
10906 Âne miete, des hân ich wênic vernumen.
10907 Getreide, wîn, vihe und wât
10908 Und swaz der rîche veile hât,
10909 Daz wirt vil ê nâch sîner swêre
10910 Verkoufet denne ob ez eins armen wêre.
10911 Ir gunst, ir wort und iren gruoz
10912 Ein armer üm si koufen muoz,
10913 Wil er die lenge in wonen bî,
10914 Swie getriuwe, swie edel, swie wîse er sî.
10915 Diz machet leider, daz junge und alte
10916 Lernent guot gewinnen und guot behalte:
10917 Und daz diz niur leien têten,
10918 Die êlich wîp und erben hêten,
10919 Daz wêre ein teil vertregelîch!
10920 Daz man aber kint nu machet rîch
10921 Wider got mit gotes gâben,
10922 Ê denne si kunst oder alter haben,
10923 Daz ist niht guot ob man daz tuot:
10924 Um sôgetân guot vergôz got sîn bluot!
LXXXII Ein mere vo[n] ainem p[re]laten.
10925 Ein war mêre ich vernumen hân,
10926 Des ich niht wol vergezzen kan,
10927 Daz wil ich schrîben daz ander liute
10928 Dâ bî sich bezzern wöllen hiute.
10929 Dô ein prêlâte zeimâl saz
10930 Und mit sînen gesten âz,
10931 Ein schenkar wart im gesant
10932 Mit birn, dô sprach er zehant:
10933 Wer beheltet mir daz schenkar
10934 Mit disen birn âne vâr,
10935 Daz ir deheiniu werde verlorn?
10936 Ob daz geschêhe, daz wêr mir zorn!"
10937 Si sprâchen: "Dâz tuo iurre swester sun:
10938 Wer solte ez billicher denne er tuon?"
10939 "Nein" sprach er, "der ist ein tôr:
10940 Er nême vil lîhte der besten vor
10941 Und lieze mir die bœsten ligen!"
10942 Dâ mit wart der rede geswigen.
10943 Nu saz ein geistlich man dâ bî,
10944 Der sprach: "Lâ dir geklaget sî,
10945 Got herre, daz man dem niht sol
10946 Ze sehzic birn getruwen wol,
10947 Dem tûsent sêle bevolhen sint!"
10948 Ein rîche pfarre het daz kint,
10949 Dem man ze den birn niht
10950 Getrûwet, als leider noch geschiht
10951 Daz sêle baz veile sint denne birn;
10952 Daz unbilde gêt mir in mîn hirn.
10953 Wol im, der volc verrihten sol,
10954 Ob er daz kan verrihten wol:
10955 Wenne diu kunst ist aller künste
10956 Meisterin gein unsers herren günste!
10957 Swer die heiligen schrift gern list,
10958 Mit dem kôset got, der bî im ist;
10959 Swer gern betet, der kôset mit gote,
10960 Ze dem sîn gebete ouch ist sîn bote.
10961 Dem lîbe daz ouge lieht zuo treit,
10962 Der sêle lieht ist verstandenheit.
10963 Wizzet daz manige guote liute
10964 Unreine gedanke sêre müewent hiute,
10965 Wenne ich daz ofte hân vernumen,
10966 Daz priestern in der messe sîn kumen
10967 Gedanke, die von herzen grunde
10968 Si habent beswêrt ze maniger stunde.
10969 Nieman ist gedanke fri,
10970 Si wonent jungen und alten bî.
10971 Swer bœsen gedanken widerstêt
10972 Als verre er mac, wie wol der gêt!
10973 Swer aber ze sêre in volgen wil,
10974 Der gewinnet schande und schaden vil.
10975 Wilde gedanke ofte ümme fliegent,
10976 Die manige tumme liute betriegent:
10977 Wie got und mensche müge gesîn
10978 In eines sô kleinen brôtes schîn
10979 Als in der messe die priester uns zeigent,
10980 Gein dem sich alliu geschepfede neigent,
10981 Und wie unsers herren almehtikeit
10982 In einer sô swachen âmehtikeit
10983 Einer jungen meide sich liez besliezen:
10984 Swer rehtes gelouben wil geniezen,
10985 Der segen sich vor disen gedanken
10986 Und lâze sîn herze niendert wanken:
10987 Des hât er lôn im himelrîche
10988 Und lebt ûf erden sêliclîche;
10989 Dennoch ist wilder gedanke vil,
10990 Der ich niht mêre schrîben wil.
10991 In einem klôster wâren heilige liute,
10992 Als manigen enden ûf erden hiute.
10993 Dar kam ein edel man und bat,
10994 Daz si vür sîn missetât
10995 Unsern herren bêten
10996 Und daz mit flîze têten.
10997 Ein schœne ros het er mit im brâht
10998 Und sprach: "Swer nu mit süezer andâht
10999 Ein pâter noster gar zuo brêhte
11000 Daz er anderswâ niht gedêhte,
11001 Der wölte sîme klôster diz ros gewinnen:
11002 Daz lieze ich hie" und gienc von hinnen.
11003 Die klôster liute zesammen giengen,
11004 Dô si des herren rede verviengen,
11005 Und bâten einen, der sunderlich
11006 Unserm herren diente gar inneclich
11007 Und den man vür heilic hete,
11008 Des man si bat daz er daz tête.
11009 Der kniete vür einen alter nider
11010 Und dô er sich ûf rihtet wider,
11011 Er sprach: "Sol mir niht wesen zorn?
11012 Der satel hât uns daz ros verlorn:
11013 Dô ich daz leste wort in dem munde
11014 Hete, dô gedâht ich an der stunde:
11015 Sol der satel uns ouch werden?"
11016 Wer kan sô gewis nu sîn ûf erden,
11017 Daz fliegende gedanke sîn gebete
11018 Niht irren, swie gern er andâht hete?
11019 Doch sül wir unser gebete sprechen:
11020 Swie dicke ez wilde gedanke zebrechen,
11021 So belîbet sîn ungelônt doch niht:
11022 Got unsern wîllen aleine ansiht,
11023 Im ist niht versperret vor,
11024 Er siht durch aller herzen tor.
11025 Sît ein ieglich stern hât
11026 Einen engel, der in an die stat
11027 Wîset dâ er hin sol gên:
11028 Wie sölte wir kranken denne bestên
11029 Und leiten uns die engel niht?
11030 Swelch mensche an daz gestirne siht
11031 Und gotes wunder nîht merket dâr an,
11032 Der ist guoter witze wan.
11033 Swenne ich niht mac gesehen diu wunder,
11034 Diu unser herre hât besunder
11035 Oben behalten in sînen tougen,
11036 Sô merke ich diu, diu menschen ougen
11037 Alle zît sehent ob in sweben,
11038 Fliegen, swimmen als ob si leben,
11039 Nu rôt, nu gel, nu brûn, nu wiz:
11040 Swenne ich dar an mîns herzen flîz
11041 Besunder lege, sô wundert mich,
11042 Ûf welherleie underschôz sich
11043 Daz wazzer ûf habe, daz ob uns fliuzezet,
11044 Daz ez ze mâl her ab niht giuzet.
11045 Des vinde wir genuoc gesehriben nâch wân.
11046 Swaz man niht wol bewêren kan,
11047 Nâch dem sol man niht vil trahten,
11048 Swenne man wol bezzer dinc mac ahten:
11049 Unsers herren wunder sül wir merken
11050 Und mit den unsern gelouben sterken.
11051 Wer hât daz vür grôz wunder niht,
11052 Daz unser sêle vil wunders siht,
11053 Swenne unser lip und unser gelider
11054 Ruowent und halp tôt ligent dernider
11055 Ze langer oder ze kurzer frist?
11056 Daz denne diu sêle sô frœlich ist
11057 Oder sô trûric, des wundert mich.
11058 Got herre, swer vor nie wolte dich
11059 Bekennen oder dîner wunder kraft,
11060 Wie verre langet hie des meisterschaft
11061 Vor dem der mensche nu ganz lît gar!
11062 Und war des sêle mit riuwen var,
11063 Daz er des niht bescheiden kan
11064 Und nimet sich grôzer dinge doch an!
11065 Swaz got mit uns allen tuot,
11066 Daz sol und muoz uns dunken guot:
11067 Setze wir uns des mit kreften wider,
11068 Eines flôhes knie drücket uns dernider.
11069 Manic man ofte sich nimt an
11070 Daz er sî ein wîser man,
11071 Der minner sich versinnen kan
11072 Denne ein âmeize oder ein han.
11073 Swer kan bekennen der zweir leben,
11074 Der rihte sîn leben nâch in vil eben
11075 Und hebe denne an und werde ein man
11076 Der wîse bestê niht halp nâch wân.
11077 Wenne werltlich wîsheit ist enwiht,
11078 Rehtiu wîsheit hât mit gote pfliht;
11079 Werltlich wîsheit ist unstête.
11080 Rehtiu wîsheit übel ungern tête ;
11081 Werltlich wîsheit brichet triuwe.
11082 Rehtiu wîsheit ist an tugenden niuwe,
11083 Werltlich wîsheit missetuot
11084 Durch liebe, durch vorhte, durch êre, durch guot,
11085 Rehtiu wîsheit siht daz lützel an:
11086 Allen liuten si wol guotes gan,
11087 Werltlich wîsheit machet sich grôz,
11088 Rehtiu wîsheit ist rîche und doch bloz.
11089 Werltlich wîsheit kan vil rête,
11090 Rehtiu wîsheit ist an triuwen stête,
11091 Werltlich wîsheit lernet vil künste,
11092 Rehtiu wîsheit wirbet nâch gotes günste;
11093 Werltlich wîsheit hât vil sinne
11094 Wie si guot und êre gewinne,
11095 Rehtiu wîsheit gert niht anders mêre
11096 Denne daz sich tugent an ir gemêre.
11097 Swer weste waz rehtiu wîsheit wêre,
11098 Alle irdische wisheit er verbêre,
11099 Wenne manic man vil buoche kan
11100 Und ist doch niht ein wîser man.
11101 Wie wolken swimmen, wie wazzer diezen,
11102 Wie tier sich grimmen, wie vische fliezen,
11103 Wie würme kriechen, wie vogel fliegen,
11104 Wie sunnen und mânen schîn uns triegen,
11105 Wie brunnen klingen, wie vogel singen,
11106 Wie bluomen in maniger varwe ûf dringen,
11107 Wie wazzer und erde sich nider senken,
11108 Wie fiur und luft ze berge ûf swenken,
11109 Wie kindes lîp in muoter lîbe
11110 Sich samen und füege, wie ez beklîbe,
11111 Mit welhem jâmer ez werde geborn,
11112 Wie loup und gras, obez, wîn und korn
11113 Ûf erden wahse, wie grôz wunder
11114 Daz mer in im ouch habe besunder:
11115 Weste ich daz allez, sô diuhte ich wîse!
11116 Ein wîsheit vor den allen ich prîse:
11117 Swer unsern herren ze aller stunde
11118 Liep hât und minnet in herzen grunde
11119 Und swer im ofte lêt gên ze herzen
11120 Sîn grôze marter und sînen smerzen.
11121 Der leien leisen durch tiutschiu lant
11122 Sint einveltic und doch baz bekant
11123 Denne manic kunst, ûf die geleit
11124 Ist grôziu kost und arbeit.
11125 Unserm herren ist wâriu einveltikeit
11126 Lieber denne valsch driveltikeit.
11127 Über zouber, goukel, ketzerie
11128 Sölten alle kristen wâfen schrîe:
11129 Des wirt sô vil von tage ze tage,
11130 Daz wir ez gote immer süln klage.
11131 Dar zuo sint leider ander sünde,
11132 Die ich mit worten niht durch gründe:
11133 Des ist sô vil ouch leider worden,
11134 Daz der hôhen templer orden
11135 Geswachet ist und manic man,
11136 Der klôster lebens sich nam an.
11137 Kiusche wirt bedecket manigerleie:
11138 Wie pfaffe, wie münich, wie manic leie
11139 Mit sunden und schanden si bedecke,
11140 Daz weiz der wol von Schandenecke.
11141 Manic dinc man niht ûz legen tar
11142 Mit worten, aleine ez doch si wâr.
11143 Valsch getiusche hât valsche kiusche,
11144 Wâriu kiusche lebt ân allez getiusche.
11145 Swer nu wil sîn ein frumer man,
11146 Der neme sich lobes und hôchferte an
11147 Und gewinne dâ bî guot swie er müge,
11148 Wil er ze dirre werlde iht tüge.
11149 Swer unsern herren liep wil haben,
11150 Der tuo als er halp sî begraben
11151 Und ner sich mit dem andern teil:
11152 Nâch grôzem truren kumt oft heil.
11153 Swâ aber nu pfaffen und leien jugent
11154 Wirt erzogen ân alle tugent,
11155 Bî den süln leider lant und liute
11156 Selten sich gebezzern hiute:
11157 Wenne alliu unsêlde und allez leit,
11158 Daz nu hât alliu kristenheit,
11159 Kumt von bœser gewonheit,
11160 Sô man der dinge ze vil vertreit
11161 Diu man billich strâfen sölte,
11162 Ob man daz reht ansehen wölte.
11163 Des ist mêre rouber und wuocherer,
11164 Diebe, morder, âbrecher,
11165 Lügener, trügener, êbrecher,
11166 Spiler, slünde und meineider,
11167 Valscher, tiuscher, vürbringer,
11168 Unkiuscher, gîler, vürkoufer
11169 Denne bî der zît und bî den jâren,
11170 Do getriuwe und wol gezogen wâren
11171 Unser alten die nu sint vervarn.
11172 Disiu werlt wil wênic unzuht sparn,
11173 Wenne manic man ist ein bœsewiht.
11174 Würfe man im daz under ougen niht,
11175 Sô wênt er sîn ein frumer man:
11176 Sus triuget in sîn tummer wân,
11177 Swenne er bî frumen liuten stêt,
11178 Des herze ûf manige untugent gêt.
11179 Daz juden und heiden freidic wâren
11180 Bî der zît und bî den jâren
11181 Dô unser herre niht mensche was,
11182 Daz dûhte mich ofte, swenne ich daz las,
11183 Vür wâr niht halp als unbillîch
11184 Als daz ein kristen mensche ungelîch
11185 Sînem namen wil sîn und freidiger vil
11186 Denne juden oder heiden über alliu zil.
11187 Manic arm man ofte ze hûse bête
11188 Sînen herren, sîn friunde mit sînem gerête,
11189 Gienge Jûdas mit sant Pêter niht
11190 Und mit den frumen ein bœsewiht,
11191 Der im hin nâch mêr schaden tête
11192 Denne alle die er geladen hête.
11193 Der bœse hât triuwen ê vergezzen
11194 Denne die frumen sîn gesezzen.
11195 Sîn ouge in alle winkel siht,
11196 Dâ von dem wirte ê schade geschiht
11197 Denne frume: ân gift sint natern niht.
11198 Mit den habent übel liute pfliht.
11199 Swer mit tugentlichem site
11200 Sîn guot teilt rîchen und armen mite,
11201 Des lebens sol. uns niht verdriezen:
11202 Swer aber besliuzet und heizet besliezen
11203 Sîn guot daz ez im belibe aleine,
11204 Des leben ist vor got unreine.
11205 Wenne manic guot ist sô verfluochet,
11206 Daz unser herre sîn niht geruochet.
11207 Er gibt uns dâr üm, daz wir geben
11208 Und ouch im dienen üm êwigez leben.
11209 Swer rîch ist und ungerne siht
11210 Brôt ezzen, des nu vil geschiht,
11211 Den fröuwet sîn gesinde uud ouch der gast
11212 Als siuröuge liute der sunnen glast.
11213 Swie gelîch ist honic unde harz,
11214 Zucker und senf, wîz und swarz,
11215 Alsô ist der milte gein dem kargen
11216 Und der senfte gein dem argen.
11217 Wenne werdent rîche liute bekêrt
11218 Den man nu dient, die man nu êrt,
11219 Die als die göte vor uns stênt
11220 Und als die pfâwen vor uns gênt,
11221 Den irdischiu êre sô sanfte tuot
11222 Daz si niht sêre die helle gluot
11223 Fürhtent und unsers herren zorn?
11224 Des wirt vil manic sele verlorn.
11225 Auch machet pfaffen gîtikeit,
11226 Daz unser herre deste ê vertreit
11227 Ob eteslîch smâcheit in geschiht,
11228 Wenne er bedarf irs merzelns niht.
11229 Si sölte begnüegen des si hêten
11230 Und sölten singen, predigen, beten
11231 In süezer andâht dêmüetecliche,
11232 Mit irdischem guote niht werden rîche.
11233 Unrehte gewinne sint helle bant:
11234 Den diep nie mensche ûf erden vant,
11235 Der mit ganzen fröuden sünge
11236 Die wîle daz seil die keln twünge.
11237 Swer gern gülte und vil sol gelten,
11238 Der lachet von herzen grunde selten:
11239 Wenne er ist ein marterer,
11240 Der gern getriuwe und wârhaft wêr,
11241 Und getar nieman sîn armuot klagen:
11242 Des muoz er dicke missesagen
11243 Und frist gewinnen über frist:
11244 Swes herze aber als unküstic ist
11245 Daz er enruochet wen er betriuget,
11246 Der gelobt, der borget, der swert, der liuget
11247 Und zert frœlich die wîl daz wert.
11248 Swer valschafter koste gert,
11249 Der muoz durch varn manic lant
11250 Und setzet dâr üm sîn bestez pfant.
11251 Nu sül wir aber vürbaz rennen
11252 Und unsern herren baz erkennen.
[Letzte Seite] [Nächste Seite]
oder direkt zurück zum Index
Administration: Henrike Lähnemann Zuletzt geändert am 12.11.2004