XC. Ein gu[o]t vor rede gen zorn vn[d] neid.
13899 Ein dinc ich wol gemerket hân:
13900 Swes von herzen grunde ein man
13901 Begert etswenne, daz fliuhet hin dan
13902 Daz er ez niendert vinden kan,
13903 Und des er etswenne niht engert,
13904 Des wirt er mêr denne gar gewert.
13905 Manic riter ofte hât gerant
13906 Ûf rossen, diu nâch sîner hant
13907 Niht wolten loufen etswenne:
13908 Daz selbe ich ouch an mir bekenne,
13909 Swenne ich den louf ein teil zetrenne
13910 An mînem getihte und mit im renne,
13911 Swar ez mich hin treit mit gewalt.
13912 Swer vehten muoz, daz der sî balt
13913 Des ist vil nôt, und daz er niht
13914 Bœslichen vliehe, des vil geschiht.
13915 Swer rennet, der mac niht wol bewarn
13916 Er müeze durch stoup und lachen varn.
13917 Über gruoben und graben, über rûch und sleht
13918 Über stoc und stein - daz ist sîn reht -
13919 Über bluomen, über heide, über manic unflât
13920 Und swâ sînes rosses louf durch gât,
13921 Dem er niht wol geziehen kan,
13922 Daz in etswenne sô verre hin dan
13923 Treit, daz erz kûm bringet wider
13924 Und etswenne mit im vellet dernider:
13925 Alsô ist mir ze mînem getihte:
13926 Swenne ich ez einhalp hin rihte,
13927 Sô loufet ez anderhalben hin
13928 Ûf ein velt, dâ vor mîn sin
13929 Ân zwîfel nie geneiget wart;
13930 Bringe ich ez wider an die vart,
13931 Sô loufet ez ofte vür manic zil,
13932 Verrer denne mîn herze wil;
13933 Über stoc, stein, stoup, bluomen und lachen
13934 Treit ez mich von manigen sachen:
13935 Begegnet aber uns ein tiefer grahe,
13936 Sô strûchet ez selber und wirft mich abe:
13937 Sô sitze ich als in einem troume
13938 Und vâhe ez aber bî dem zoume
13939 Und loufe mit im über velt hin dan
13940 Als der niht wol rîten kan.
13941 Wenne wort, diu tiefe sint gewegen,
13942 Der süln hôhe meister pflegen,
13943 Der sin von vollen brunnen fliuzet
13944 Und wîten in diu lant sich giuzet:
13945 Des sinnes ich leider unwîse bin:
13946 Mînes sinnes kraft vert oben hin
13947 Âne künsterîcher âdern prîs
13948 Als über ein güse ein dürrez rîs
13949 Und als ein wazzer über dickez îs.
13950 Salern, Padouwe, Orlêns, Pârîs
13951 Wurden nie von mir beschouwet,
13952 Daz einem hôhen meister zouwet
13953 Baz denne einem armen lêre knaben;
13954 Wer wil daz vür ein wunder haben?
13955 Mit tummen tump, mit wîsen wîs
13956 Was ie dirre wilden werlde prîs.
13957 Swer hie vindet des in benüeget,
13958 Der hât funden daz im füeget.
13959 Des schrîbet uns alsô anderswâ
13960 Der tugenthafte Senecâ:
13961 "Suoche daz du vinden mügest,
13962 Lerne die kunst ze der du tügest".
13963 Nu sül wir aber vürbaz varn,
13964 Got müeze uns lîp und sêle bewarn!
Quinta Distinctio
Von zorne und nîde
XCI. Von zorn vnd neide vnd von andern dingen.
13965 Der unkiusche sül wir urloup geben,
13966 Wenne ir getiusche kan nieman eben
13967 Durchgründen und ir missetât
13968 Und manic tückelîn, diu si hât.
13969 Von zorn und nîde wil ich nu sagen:
13970 Dâ von sült ir mir vertragen
13971 Ob ich die gîtikeit aber rüere,
13972 Wenne ich ûz irem brunnen füere
13973 Die zwuo sünde mit irem gesinde,
13974 Alein man ir doch gar vil vinde
13975 Bî den vorgenanten sünden.
13976 Wer kan ir wurzeln gar durchgründen?
13977 Daz kan unsanfte getuon ieman,
13978 Als ich dâ vor gesprochen hân.
13979 Wizzet daz elliu missetât
13980 Pfliht mit der gîtikeit hât,
13981 Dâ von ist ûz irem brunnen
13982 Zorn, nît und haz gerunnen
13983 Mit manigen andern grôzen sünden,
13984 Als uns die hôhen lêrer künden
13985 Beidiu hie und anderswâ.
13986 Ez sprach der reine Senecâ:
13987 "Diu werlt mit fride möhte immer sîn
13988 Denne zwei wörter, 'mîn' und 'dîn',
13989 Diu machent angst unde nôt
13990 Und manigen unmenschlichen tôt."
13991 Daz Kâîn sînen bruoder sluoc,
13992 Wizzet daz in dar zuo truoc
13993 Nît, zorn und gîtikeit:
13994 Die füegent noch manic herzenleit.
13995 Nît, haz unde zorn
13996 Habent leider manige sêle verlorn,
13997 Wenne si habent zesamen gesworn.
13998 Haz von zorn wirt geborn;
13999 Nît hât miuchelingen strît,
14000 Der in sich neget alle zît;
14001 Zorn vert mit fiur her vür,
14002 Nît brinnet und hât beslozzen tür.
14003 Wöllet ir daz nu merken baz,
14004 Sô merket wie man biche ein vaz:
14005 Die wîle der bodem ist vür geschoben,
14006 Sô schadet der lohe nieman oben,
14007 Wirt aber der bodem her abe getân,
14008 Sô sleht der lohe des fiures ûf sân:
14009 Seht alsus brinnet in manigem man
14010 Nît, der in lange verbergen kan:
14011 Bringet aber der zorn den nît ze hazze,
14012 Sô sleht der lohe schier ûz dem vazze
14013 Und meldet sich âne sînen danc.
14014 Dâ von sprach her Frîdanc:
14015 "Grüene, gel und weitîn
14016 Sol diu nîtvarwe sîn.
14017 Die bœsen nieman nîden sol,
14018 Den frumen gan ich nîdes wol."
14019 Ir sült ouch wizzen daz der zorn
14020 Von der gallen ist geborn
14021 Und daz er witze blendet
14022 Und manige liute schendet.
14023 Sînen dienern gibt er bœsen lôn,
14024 Dâ von sprach her Salomôn:
14025 "Ein tummer brastelt in sînem zorn
14026 Als under einem hafen rösche dorn."
14027 Zorn wirfet ie daz bœste vür,
14028 Daz beste kumt niht vür sîn tür.
14029 Zorn ist gein allen witzen blint:
14030 Ein vater ofte sîn eigen kint
14031 Mordet oder ein man sîn wîp.
14032 Zorn wâget sêle, êre und lîp,
14033 Er roubet, mordet, luodert, brennet,
14034 Sippe und friuntschaft er zetrennet,
14035 Zuht muoz swîgen, er wil brehten,
14036 Reht getar gein im niht vehten,
14037 Kein tôrwarte ist bî sîner tür,
14038 Brustrûmen stôzet schier her vür
14039 Wirt, gesinde mit den gesten,
14040 Rîche und arme, bœse mit den besten.
14041 Sîn gewalt ist ofte grôz ûf erden:
14042 Sölte unser fleisch niht asche werden
14043 Und sölte diu sêle lange dâr inne belîben,
14044 Wer möhte vor sînem gewalte beklîben?
14045 Swelch mensche sînen zorn richet
14046 An sînem vînde und in erstichet,
14047 Der hât vil übel sich gerochen:
14048 Wenne er sîn selbes sêle erstochen
14049 Hât vor gote jêmerlichen,
14050 Diu verlorn ist êwiclichen,
14051 Ob ez mit heizer riuwe niht
14052 Sîn schulde büezet, des vil geschiht.
14053 Der tiufel ist zorne bîgesellic,
14054 Manic mensche von zorne wirt hinvellic.
14055 Zorn ist aller schanden pforte
14056 Beide an werken und an worte,
14057 Zorn wont allen tôren bî:
14058 Welch wîse man ist gar zornes frî?
14059 Zorn nimt den man sich selber gar,
14060 Zorn ouch sôgetân dinc tuon getar
14061 Diu über menschen kraft sich steigent
14062 Und ofte lîp und sêle veigent.
14063 Zorn vergizzet triuwen und êren,
14064 Untriuwe mit lügen kan er gemêren,
14065 Von zorn wirt manic mensche lam,
14066 Von zorn wirt vater kinden gram,
14067 Von zorn vil manic mensche wüetet
14068 Daz sîner sinne niht eben hüetet,
14069 Von zorn manic mensche sich selber henket.
14070 Zorn fleisch, bluot, marc und hirne krenket,
14071 Zorn lîbes, sêle und êren vergizzet,
14072 Zorn elliu dinc unrehte mizzet.
14073 Wizzet er ist ein wîser man,
14074 Der bî im selber belîben kan
14075 In zorn, in fröuden, in grôzem leide,
14076 Daz sîn gemüete sich niht scheide.
14077 Von zorn ist manic man verdorben,
14078 Grôz fröude hât nît und haz erworben.
14079 Grôz herzeleit swachet ûzen und inne
14080 Des menschen muot, kraft und sinne.
14081 Zorn mir wê zem êrsten tuot,
14082 Dar nâch betrüebet er des muot
14083 Den ich erzürne, noch mêre geschîht:
14084 Swer mîn unzuht hœrt oder siht,
14085 Der hât mich niht als er mich hete
14086 Ê denne ich vor im missetete:
14087 Sus wirt diz übel drîerleie,
14088 Des manic pfaffe und manic leie
14089 An lîbe, an sêle hât schaden genumen.
14090 Zorn tuot schaden und selten frumen.
14091 Swâ zorn sînen sporn rüeret,
14092 Ungedult daz banier füeret.
14093 Doch wizzet daz unbescheidenheit
14094 Ir zweier reise nie vermeit,
14095 Wizzet ouch daz des zornes her
14096 In allen landen hât vil mêr
14097 Tôren denne wîser liute.
14098 Des stêt deste wirs diu werlt hiute.
14099 Ein tôr sich selber niht bekennet,
14100 Swie dicke man narren vor im nennet.
14101 Als der einen hunt ziuhet bî den ôren
14102 Tuot der, der wîsheit legt an tôren:
14103 Der ist nu leider alsô vil,
14104 Daz ir nieman hât ein zil:
14105 Wenne wir vinden tôren und affen
14106 Beidiu bî leien und bî pfaffen.
14107 Des schrîbet uns meister Persêus
14108 In sînem vil swêren büechelîn alsus:
14109 "Hundes zungen und esels ôren
14110 Recket man gerne ûz ûf die tôren,
14111 Storch snebel und vinger diuten
14112 Guckent ofte nâch tummen liuten":
14113 Wol im, er ist ein sêlic man
14114 Der sich dâ vor behüeten kan,
14115 Wenne tôren herze lît in irem munde,
14116 Der wîsen munt in herzen grunde!
14117 Manic man möhte gar sanfte leben,
14118 Könde er im selber frîde geben
14119 Üm kleine dinc daz in sêre beswêrt
14120 Und ofte niht ist der rede wert.
14121 Sô wirt ouch maniger zornes vol,
14122 Swenne er einem andern sagen sol
14123 Waz dirre und der im habe getân:
14124 Der lêt mit fride gên hin dan
14125 Die vînde und tuot den friunden leit:
14126 Diz kumt von unverstandenheit.
14127 In des nides klûsen ich vinde
14128 Ein vil jêmerlich gesinde,
14129 Die weder mir noch in tuont liebe,
14130 Wenne si slîchent als die diebe.
14131 Ir herze wirt selten immer frô,
14132 Wenne ez dorret als ein strô.
14133 Sî tragent honic in dem munde,
14134 Gift und gallen in herzen grunde.
14135 Swenne si friuntlich gein dir lachen,
14136 Sô soltu stap haben under lachen.
14137 Si lachent ûzen und sint innen
14138 Vîl unreiner denne die pfinnen,
14139 Wenne si in selber niht mügen entrinnen,
14140 Und noch giftiger denne die spinnen:
14141 Des ist sô grôz ir bitterkeit,
14142 Daz anderre liute reinikeit,
14143 Triuwe, zuht und wirdikeit,
14144 Lop und êre, bescheidenheit,
14145 Wîsheit, milte und sêlikeit
14146 Sint in von herzen grunde leit.
14147 Nu merket wie si sîn genant,
14148 Alein ir genuoc sîn vor bekant:
14149 Liegen, triegen, schelten, brehten,
14150 Drôen, sweren, gein got vehten,
14151 Tratzen, schrîen, übel sprechen,
14152 Morden, stürmen, triuwe brechen
14153 Sint des zornes drabe knehte,
14154 Die alle rûschent mit gebrehte,
14155 Den man iren rûm muoz lâzen,
14156 Swenne si varnt die frîen strâzen.
14157 Bescheidenheit muoz in entwîchen,
14158 Des nîdes gesinde siht man slîchen
14159 Bî der strâzen ûf den stîgen:
14160 Snudern, smocken unde swîgen,
14161 Innen ruoz und ûzen krîden,
14162 Nâchkôsen, als ein scharsach snîden,
14163 Metten, liegen, nase rimpfen,
14164 Spotten, gucken, valschez schimpfen,
14165 Itewîzen, fluochen, smêhen,
14166 Valschez rûnen, dieplich spehen,
14167 Ougen spitzen, zene wetzen,
14168 Valsche rête, mörtlich hetzen,
14169 Nîthart, Siurinc, Slangenzagel,
14170 Billunc, Nîdunc, Tugenden hagel
14171 Sint des nîdes spiezslîfêre,
14172 Aller untugende nâchgrîfêre.
14173 Daz Thêbe diu stat gar nider saz
14174 Mit fiure, daz machte nît und haz:
14175 Zwên gebruoder sint geziuge des,
14176 Polinices und Ethiocles,
14177 Künic Êdipus und künic Adrast
14178 Und manic hôchgelopter gast,
14179 Der minnicliche Parthenopêus,
14180 Der unverzaget helt Tydêus
14181 Und manic ûzerwelter degen,
14182 Der gar vil tôt dâ was gelegen
14183 Ê denne diu stat gar würde enzündet,
14184 Als meister Stâcius uns kündet.
14185 Nît und ungetriuwer rât
14186 Füegent manige missetât.
14187 Vil untriuwen und valscher grüeze
14188 Wirt verkouft in honiges süeze.
14189 Ûf erden ist er ein sêlic man,
14190 Swem man wol guotes und êren gan.
14191 Manigem ich ofte dienen muoz
14192 Üm sînen halp küpferînen gruoz,
14193 Des ich âne zwîfel niht entête
14194 Vörhte ich niht sîne valsche rête.
14195 Schœne weter und herren lachen
14196 Verkêrent sich von kleinen sachen,
14197 Sich verkêret aber selten grimmer nît,
14198 Der gern übel tête ze aller zît.
XCII. Ein mere von einem gebaure d[er] het einen bachen
14199 Nu hœrt waz ich vernumen hân:
14200 Einen bachen hete ein guoter man,
14201 Der hôhe in sînem hûse hienc.
14202 Ein sîn gevater zuo im dô gienc
14203 Und sprach: "Gevater, volge mir,
14204 Tuo dînen bachen schier von dir
14205 Und hâh in in jenez fenster dort!
14206 Von dînem herren hân ich gehôrt,
14207 Daz er mit flîze dich biten wil
14208 Daz du in im borgest ûf ein zil:
14209 Tuostu des niht, sô wirt im zorn.
14210 Nu sprîch, du habest in verlorn!"
14211 Der guote man tet nâch sîner lêre -
14212 Des gerou in sît vil sêre -
14213 Und hienc den bachen an die stat,
14214 Als sîn gevater im gap rât:
14215 Des triuwe gein im was leider smal,
14216 Wenne er des nahtes den bachen stal.
14217 Des morgens dô lieht wart der tac,
14218 Der arme man vil sêre erschrac
14219 Dô er des bachen niht envant.
14220 Ze sînem gevatern lief er zehant
14221 Und sprach: "Ich hân verlorn den bachen"!
14222 Vil unkuntlieh begonde er lachen,
14223 Als manic bœse man noch tuot
14224 Der wider got gewinnet guot,
14225 Und sprach: "Sich, alsô soltu sprechen
14226 Und solt über ein mînen rât niht brechen:
14227 Von der rede kum du niht,
14228 Swaz in der werlde dir geschiht!"
14229 Er sprach: "Entriuwen, daz ist wâr"!
14230 "Nu hüete daz immer ieman ervar,
14231 Daz ich dir hân den rât gegeben,
14232 Wenne ez gienge mir an mîn leben!
14233 Dîn herre ist ein sô freidic man,
14234 Er gewünne die lîbe uns beiden an,
14235 Mir üm den rât, dir üm die tât;
14236 Herren gewalt vil tratzes hât."
14237 Der guote man dô vil trûric schiet
14238 Von sînem gevatern, der in verriet:
14239 Swie grôz sîn leit was und sîn zorn,
14240 Doch was der bache alsus verlorn.
14241 Swer guot alsus gewinnen kan,
14242 Der sol nu sîn ein kluoger man:
14243 Ist aber sîn leben genême gote,
14244 Des bescheidet in des tôdes bote.
14245 Üm nît und haz strâfe wir die alten
14246 Und habe wir gar gehêbe valten,
14247 In den wir alten kriec behalten
14248 Des kristen liute niht sölten walten:
14249 Der valten ist aber gar geswîgen,
14250 In den alte guottête sölten lîgen,
14251 Ich hœre manigen menschen sprechen,
14252 Swenne er sich niht mac sân gerechen:
14253 "Des krieges wil ich vergezzen nimmer,
14254 Und sölte ich leben immer und immer! "
14255 Diu wunde nimmer heil wirt,
14256 Die wîle daz îsen darinne swirt.
14257 Gedêhte wir guottête alsô lange
14258 Als übeltête, diu mit getwange
14259 Unserm herzen wonet bî,
14260 Sô würde wir maniges leides frî.
14261 Waz sol uns daz in unserm muot,
14262 Daz alle tage uns leit tuot?
14263 Wer trüege ein gift in sînem magen,
14264 Diu im daz herze wölte abe nagen?
14265 Swenne übel liute sich niht enmügen
14266 Gerechen mit unküste und mit lügen,
14267 So beginnent si fluochen und schelten:
14268 Daz lâzent ir manige leider selten.
14269 Irs herzen gift muoz ie ûz bresten,
14270 Sô si ze sêre brinnet in den testen:
14271 Si mügen Achitofels genôz
14272 Wol sîn, des unkust was sô grôz
14273 Daz er vor grimme sich selber hienc,
14274 Dô sîn valsch rât niht für sich gienc:
14275 Daz vindet man in der künige buochen,
14276 Swer ez mit flîze dâ wil suochen.
14277 Unküstiger liute valscher rât
14278 Manic grôz unbilde gestiftet hât:
14279 Des sint hern Gêdeôns kint geziuge
14280 In der schrift, daz ich niht liuge
14281 Der werde ritter Gêdeôn,
14282 Den got geziert hete alsô schôn
14283 Daz er sibenzic süne hete
14284 Mit einander in gelîcher wête:
14285 An den grôz unbilde sît geschach
14286 Von sînem kebes sune darnâch
14287 (Den grôz untriuwe und valscher rât
14288 Ze rihter machten an sîner stat)
14289 Wenne er in allen ûf einem steine
14290 Ir houbt ab sluoc denne einem aleine,
14291 Der dâ vor im verborgen was
14292 Und vor dem morde kûm genas.
14293 Der was geheizen Jôathân,
14294 Sô hiez der mördisch übel man
14295 Abymelech, der driu jâr sît
14296 Mort, brunst, urliuge unde strît
14297 Üm sich stifte von tage ze tage.
14298 Des huop sich jâmer unde klage,
14299 Dô er tûsent menschen mit brünste
14300 Eines tages verdarbte von rouches dünste
14301 Und schier darnâch verlôs den lîp,
14302 Dô im sîn hirne ûz warf ein wîp
14303 An der er sich niht mohte gerechen,
14304 Und sînen kneht sich hiez erstechen,
14305 Daz ieman sprêche, got hête sîn leben
14306 In eines wîbes hende gegeben;
14307 Vor Kristes gebürte daz geschach,
14308 Als mir der rihter buoch verjach.
14309 Ouch sprach hie vor der wîse man,
14310 Des sprüche nieman vol prîsen kan:
14311 "Wîzzet swer durch valschen rât
14312 Tuot ein grôze missetât,
14313 Swenne erz gerne wider tête
14314 Sô ist sîn riuwe vil lîhte ze spête.
14315 Swie schône er sich dar nâch bewar,
14316 Man vingerdiutet doch immer dar:
14317 Und würde Jûdas zwirunt getouft,
14318 Dennoch hête er got verkouft."
14319 Swer valscher rête sich begêt
14320 Und valscher tête niht widerstêt,
14321 Der ist dem tiufel mêre gesippe
14322 Denne menschlicher Adâms rippe.
14323 Manigen herren vil lieber sint
14324 Des tiufels knehte denne gotes kint:
14325 Ich meine die bœsen âbrecher,
14326 Rouber, diebe und wuocherer,
14327 Verrâter und valsche rihter
14328 Und gotes gâbe köufeler
14329 Und manigen andern iren genôz,
14330 Er si rîch, arm, klein oder grôz,
14331 Der anderre liute schaden wirbet
14332 Und selber an der sêle verdirbet.
14333 Swie lützel ein mensche verwundet wirt,
14334 Swie kleine an im ein eizel swirt,
14335 Doch blâsent die drüse dem smerzen zuo:
14336 Alsam tuont die spâte und fruo
14337 Ûf ir gebruoder gebent rât
14338 Und ofte üm kleine mîssetât
14339 Swinder ûf sî blâsent denne si sölten,
14340 Ob si sich selber ansehen wölten.
14341 Fremde sünde künne wir durch spehen:
14342 Nieman wil an sich selber sehen;
14343 Fremde sünde künne wir durch gründen:
14344 Blint sî wir leider gein unsern sünden;
14345 Der wâtsecke heize wir vür uns binden:
14346 An unser grîfe wir selten hinden.
14347 Nît drücket mit lügen manigen nider,
14348 Der sich mit tugende ûf rihtet wider;
14349 Mîns herzen leides ist er frô,
14350 Mînes liebes trûric, kumt ez alsô;
14351 Lobt man vor im einen frumen man
14352 Oder ein frouwen, sô sprichet er sân:
14353 "Ir leben ist iu niht reht bekant":
14354 Sô wil man wênen sân zehant,
14355 Si sîn anders denne si sint.
14356 Der nît ist gein im selber blint,
14357 Gein andern liuten sint sîn ougen
14358 Scherpfer und ouch unreiner tougen
14359 Denne eines basilisken sîn,
14360 Des gesihte doch tôdes pîn
14361 Dem menschen bringet, ob er in siht
14362 Von êrste und in der mensche niht.
14363 Siht aber den basiliscum ê
14364 Der mensche denne er in, sân sô wê
14365 Wirt dem slangen daz er stirbet
14366 Und in sîner gift verdirbet.
14367 Wizzet und möhten nîdige liute
14368 Mit irm gesihte die tœten hiute,
14369 Den si des lebens hie vergünnen,
14370 Der market begönde vil ofte dünnen.
14371 Swer wölle daz nîder herzen sterben,
14372 Der sol nâch tugenden und êren werben
14373 Und daz im wol die frumen sprechen:
14374 Sô muoz der nîder herze brechen
14375 Als des basilisken tuot.
14376 Ez sprach ein meister: "Ez wêr guot,
14377 Daz nîder ougen sölten sîn
14378 In allen steten durch ir pîn,
14379 Daz ir unsêlde sieh möhte gemêren
14380 Von aller werlde guot und êren."
14381 Waz fluoches mac man in ergers geben.
14382 Denne daz man wünsche üm ir lanc leben?
14383 Den nîder dunket fremde sât
14384 Vil schœner denne die er selber hât,
14385 Und daz eines armen wîbes kuo
14386 Bezzer sî denne sîner zwuo.
14387 Er blêet sich, wirt ein man baz geêrt
14388 Denne er, oder ist er baz gelêrt,
14389 Sterker, schœner, milter, rîcher,
14390 Senfter, bezzer, tugentlîcher.
14391 Swenne er anders niht enmac,
14392 Sô gêt er snarren durch den tac
14393 Von jenem hin ze disem her
14394 Und lallet wie diser lebe und der
14395 Und. wie ungetriuwe jener sî,
14396 Und er ist niht selber wandels frî.
14397 In dunket, swenne er vil geklaffet,
14398 Diu dinc sîn alliu wol geschaffet.
14399 Ander liute wil er verrihten
14400 Und könde sich selber nie verslihten
14401 Mit im selber, daz er wêre
14402 Tugentsam und hazzes lêre.
14403 Swenne er selber niht getar
14404 Gerechen sich, sô nimet er war
14405 Eines tôren, dem er ist unbekant,
14406 Und schupfet mit rêten sâ zehant
14407 Den ûf jenes schaden als ein diep,
14408 Dem nieman ist ûf erden liep.
14409 Sô nît dir niht entwîchen mac,
14410 Sô kêrt er aber dir den nac
14411 Daz sîn ougen dich niht sehen,
14412 Ob frume liute dir guotes jehen.
14413 Nît gêt zuo dir in dîn hûs
14414 Und schadet dir mêre denne ie kein mûs
14415 An wîne, an brôte, an bachen.
14416 Kêre dich niht an sîn lachen.
14417 Er wil versuochen waz du habest.
14418 Stant vaste bî im daz du iht snabest
14419 An worten, an werken, an sinne,
14420 Daz er dir iht an gewinne
14421 Dîn guot, din êre mit bœsen listen.
14422 Diepolt, Nîdunc sint bœse kristen,
14423 Wenne sî mit den liuten ezzent
14424 Und dienstes und triuwen schier vergezzent.
14425 Nît kan niht mâze an übel haben
14426 Unz daz der nît balc wirt begraben:
14427 Sô hebet der sêle nît alrêrst an,
14428 Der immer wert. Er sêlic man,
14429 Den man nîdet und er niht nîdet,
14430 An dem der nît sich selber snîdet!
14431 Wenne nît kan manigen unreinen wanc,
14432 Dâ von sprach her Frîdanc:
14433 "Swelch dorf oder stat ist gar âne nît,
14434 Wizzet daz diu wüeste lît."
14435 Von nîde vorliuset sîn lîbelîn
14436 Vîl manic einveltic vogellîn,
14437 Daz der iulen wil machen nôt
14438 Und fliuget in sîn selbes tôt.
14439 Gegihte, blitzen unde fiur
14440 Sint snelle, durchgriffic und ungehiur:
14441 Noch erger ist ein valschez herze,
14442 Wenne winter und sumer wert sîn smerze.
14443 Swer alle zît lebet in herzen schricken,
14444 Der lît gevangen in des tiufels stricken,
14445 Ob er den selben schricken hât
14446 Von lesterlicher missetât.
14447 Ûzen süeze und innen sûr,
14448 Miltouwes schedelicher schûr
14449 Verderbet obez, honic und sât:
14450 Valsch herze die selben wîse hât:
14451 Des wort mit honige sint gesmirt,
14452 Sîn triuwe von gallen innen swirt.
14453 Wol im, er ist ein sêlic man,
14454 Der sînes amptes pflegen kan,
14455 Daz man im wol sîner êren gan!
14456 Vîl lützel ich der gesehen hân,
14457 Die des leiden nîdes zan
14458 Ungemelt wellen vür sich lân.
14459 Des schrîbet uns sant Paulus ze diute:
14460 "Man frêget, ob iht getriuwer liute
14461 Under amtbetliuten ieman vinde".
14462 Ein vater muoz etswâ sînem kinde
14463 Missetrûwen von manigen sachen,
14464 Die man den liuten arcwân siht machen.
14465 Nieman ûf erden ist wandels frî:
14466 Silber ist doch bezzer denne blî.
14467 Liegen und swern sint nîdes knehte,
14468 Die manigem menschen tuont unrehte.
14469 Swer sîn lügen mit eiden hewêrt,
14470 Der zöumet und satelt des tiufels pfert.
14471 Gelogen mêre bringet nît ze velde,
14472 Und unser herre wolte den niht melde
14473 Der mit im giene, saz, tranc und âz
14474 Und sîner triuwen an im vergaz!
14475 Dar an gedenke wir leider selten.
14476 Des müezen die guoten der übeln engelten,
14477 Swenne missewehse, roup und brant
14478 Verderbent beide liute und lant.
14479 Triuwe und wârheit sint vervarn,
14480 Got müeze uns an der sêle bewarn!
14481 Wê im, der die friunde hât,
14482 Die sîn wort und sîne tât
14483 Mit nîde ûzlegent heimlîche
14484 Und gein im lachent offenlîche!
14485 Wêr der bî natern und bî slangen,
14486 Den dörfte noch minner heim belangen
14487 Denne ob er ofte bî den wêre,
14488 Den sîn leben ist unmêre,
14489 Die süeziu wort habent in dem munde
14490 Und gallen hort in herzen grunde:
14491 Der ist sô vil nu leider worden,
14492 Daz wênic funden wirt kein orden
14493 Der der morder gar sî frî,
14494 Er habe ir zwên oder drî.
14495 Des wizzet daz ein grimmer man
14496 Selten gerne siht immer an
14497 Den, der sîn dinc gemerken kan,
14498 Wenne er des lebens im vergan:
14499 Dâ von sehent irdische liute
14500 Geistliche liute ungern hiute.
14501 Swer geistliche liute ungern siht,
14502 Der hât noch mit der werlde pfliht
14503 Und gein got niht ganzen muot.
14504 Swelch mensche mir niht leides tuot,
14505 Bin ich dem gram, wie füegt sich daz?
14506 Nît und haz tuont selten baz.
14507 Swer mich bî im mit fride lieze.
14508 Des lebens sölte mich niht verdrieze.
14509 Nie wart ez und wirt nimmer guot
14510 Swer wider gotes willen tuot,
14511 Wenne sîn genâde uns vil vertreit
14512 Ûf bezzerunge und durch barmherzikeit,.
14513 Daz er uns râte, helfe und gebe
14514 Und lange uns lâze ûf erden lebe,
14515 Daz dunket uns billich unde reht:
14516 Waz aber gein im tuon sol sîn kneht,
14517 Dâ gedenke wir selten an.
14518 Wir tuon als manic kint getân
14519 Gein sînem vater ofte hât,
14520 Dem er wol tete an aller stat
14521 Und ez im des doch niht danken wolte
14522 Mit den triuwen als ez solte:
14523 Ach herre got, waz wir der vinden
14524 Bî dirre grimmen werlde kinden!
14525 Machestu, herre, ûf erden uns rîche,
14526 Sô wöll wir leben unordenlîche;
14527 Lêzestu uns des guotes zerinnen,
14528 Sô wölle wir kumen von unsern sinnen
14529 Vor leide und manigerleie getrehte:
14530 Wer lebt ûf erden alsô rehte?
14531 Mîn leben urteilet manic man,
14532 Der schande noch schaden mîn nie gewan.
14533 Wunder ist daz mir der übels gan,
14534 Dem ich kein leit nie hân getân.
14535 Ô nît und haz, ir tuot niht baz,
14536 Ir füllet manic unküstic vaz!
14537 Wölte got, wêr nît in klœstern niht!
14538 Sît wîlent der nîdische bœsewiht
14539 Mit got und sînen jungern gienc,
14540 Der sich selber sît erhienc,
14541 Wer mac denne nîdes über werden
14542 Und hazzes iendert ûf der erden?
14543 Wîzzet daz gesellen drî
14544 Von hazze nimmer werden frî:
14545 Waz tuont denne sehzic oder hundert?
14546 Ob sich die nîden, swen des wundert,
14547 Der mac wol sîn ein vihe âne horn.
14548 Alle nîder sint doch niht verlorn:
14549 Nîde ich eins andern missetât,
14550 In selber niht, des wirt guot rât.
14551 Swer niht gerâten noch gehelfen mir könde
14552 Mit sîner künste, daz mir der gönde
14553 Ob ân sînen schaden mir guot geschehe,
14554 Des wölte ich ze friunde jehe
14555 Dennoch, ob er niht bœser rête
14556 Gêbe swâ man mir güetlich tête.
14557 Der nît gêt ûf siben stîgen:
14558 Der ûzrihte wil ich geswîgen.
14559 Swer âne nît ist, dem sül wir nîgen,
14560 Des leben ist süezer denne vîgen.
14561 Nît sîn ougen ofte spitzet
14562 Swâ er gêt, stêt oder sitzet,
14563 Dâ ieman guotes iht geschiht:
14564 Daz enist âne sache niht.
14565 Man list daz über verriu lant
14566 Ein juncfrouwe hie vor würde gesant
14567 Künic Alexandrô, dâ er saz
14568 Und mit sînen liuten âz.
14569 Diu juncfrouwe was sô schône gevar
14570 Daz ir der künic nam sunder war,
14571 Wenne si glastet als ein gluot
14572 Und hête des küniges vesten muot
14573 Vil nâch verkêrt und ouch sîn leben,
14574 Hête man ir sîn stat gegeben.
14575 Vil wol nam ouch war des
14576 Sîn meister Aristotiles
14577 Und sprach: "Herre, volget mir!
14578 Kêrt iuwer ougen balde von ir
14579 Und schicket si verre von iu hin dan
14580 Oder ir sît ein tôter man!"
14581 Dô er diz heimlîchen sprach,
14582 Diu magt den künic ie baz an sach
14583 Und wolte mit langen worten habe
14584 Geworben ir botschaft. Daz gienc abe,
14585 Wenne der künic nam sich an
14586 Eins andern gescheftes und gienc hin dan
14587 Und hiez der meide pflegen wol.
14588 Dô sprach sîn meister, si wêr vol
14589 Gifte in fleische und in gebeine
14590 Und ir gesihte wêr sô unreine.
14591 Swen si sölte die lenge an sehen
14592 Dem möhte vil wê von ir gesehehen;
14593 Swer aber si blôz wölte rüeren,
14594 Der möhte den tôt wol an sich füeren,
14595 Wenne si von kinde wêr ûf gezogen
14596 Mit natern fleisch: "Gar ungelogen
14597 Ist daz, herre, daz ich iu sage!
14598 Sî hât ir frouwe vil manige tage
14599 Gespîset ûf ir vînde leben".
14600 Nu sült ir alle merken eben,
14601 Daz nîder fleisch gar giftic sî,
14602 Die den liuten wonent bî
14603 Und gern doch sêhen ir maniges tôt.
14604 Diz ist ein jêmerlichiu nôt,
14605 Daz ein mensche den fürhten muoz
14606 Der lachende im biutet sînen gruoz
14607 Und nîdes treit einen vollen magen ;
14608 Waz sol man dâ von lange sagen?
14609 Nît hât die frumen ie genagen
14610 Und ûf iren schilt geslagen:
14611 Daz hœrt man manigen meister klagen
14612 In alten buochen. Wer mac vertragen.
14613 Swaz unrehtes im geschiht?
14614 Daz entuont etswâ die heiligen niht.
14615 Tôren wâren ie den wîsen gram,
14616 Bî tugenden wirt untugent lam.
14617 Mîn herre sant Gregôrius,
14618 Jerônimus und Ambrôsius,
14619 Sant Paulus und ander heiligen vil,
14620 Der ich hie niht nennen wil,
14621 Klagent in iren buochen daz
14622 Si dicke betrüebt habe nît und haz:
14623 Ouch wâren die freidiger nîdes vol
14624 (Daz wizze wir alle selber wol),
14625 Die manigen heiligen hânt ertœtet
14626 Und sînes lîbes hie genœtet.
14627 Got selber beleip niht ungeniden
14628 Von der werlde untugende smiden,
14629 Die sînen tugenden wâren gram:
14630 Etliche tuont noch hiute alsam,
14631 Den kristen geloube gêt lützel în
14632 Und doch wöllent mit uns kristen sîn:
14633 Sölte ich die melden nâch mînem willen,
14634 Si begönden mich schern unde villen.
14635 Der wolgezogen Senecâ.
14636 Der beidiu hie und anderswâ
14637 Von sînen tugenden ist bekant
14638 Und immer und immer über alliu lant,
14639 Verlôs von nîde sîn reinez leben
14640 Vou dem, der billicher im gegeben
14641 Hêt bürge, lant, êre und guot:
14642 Dâ tet er als im stuont sîn muot,
14643 Wenne er was aller untugende ein vaz:
14644 Des truoc er gein dem meister haz,
14645 Der in doch het gelêrt vil baz
14646 Alein im lützel frumte daz.
14647 Ein übel herze tuot nimmer wol,
14648 Daz unreine ist und nîdes vol:
14649 Sam tet der morder künic Nêrô,
14650 Der sînen meister machte unfrô
14651 Und sîn selbes muoter ûf sneit
14652 Und manige unreine freidikeit
14653 Unmenschlîch ûf erden stifte
14654 Von nîdes und von hazzes gifte.
14655 Ern wart nie tugenthafter man,
14656 Swer guotes und êren dem vergan
14657 Der nie kein leit im hât getân.
14658 Eyâ got herre, waz wir der hân,
14659 Die andern liuten übel sprechen
14660 Und niht wizzen waz sie rechen!
14661 Wizzet daz ein unrein man
14662 Einen reinen siht vil ungern an,
14663 Wenne im grûwet swenne er in siht:
14664 Nu merket wâ von daz geschiht.
14665 Dâ süln die gerehten urteil geben
14666 Über der ungerehten leben
14667 An dem jüngsten tage vor gote,
14668 Des ist dirre schricke nu ir vorbote.
14669 Her Juvenâlis, der ouch was
14670 Ein edel Rômer als ich las,
14671 Verlôs sîn leben üm daz er wolte
14672 Die wârheit schrîben als er solte.
14673 Virgîlius und Orâcius,
14674 Ovîdius und her Stâcius,
14675 Tulius und Lucânus,
14676 Boêcius und Alânus,
14677 Dâres und Aristotiles,
14678 Ypocrâs und Socrates,
14679 Solînus, Plâto, Persêus,
14680 Donâtus, Cassiodôrus,
14681 Remîgius, Porphirius,
14682 Pithâgoras und Plînius
14683 Und der alten meister vil,
14684 Der ich niht aller nennen wil,
14685 Die gar tugentlîchen lebten
14686 Und wider alle untugent strebten,
14687 Konden doch des niht geniezen
14688 Daz Nîdunc und Billunc si liezen
14689 Unbeswêrt: ein frumer man
14690 Muoz immer lîden nîdes zan.
14691 Her Prisciân hât hie niht stat,
14692 Wenne er von unserm gelouben trat
14693 Und wolte niht kumen wider dar an:
14694 Sam tet sîn herre, her Juliân,
14695 Der vil manic herzeleit
14696 Tet der heiligen kristenheit.
14697 Si sint billichen von disen gescheiden,
14698 Alein der meister vil wêrn heiden
14699 Die man iezunt hât genant:
14700 Hêten si kristen gelouben bekant,
14701 Si hêten nimmer dâ von getreten
14702 Wenne si von art vil tugent heten:
14703 Ir maniger lebte manic jâr
14704 Vor Cristes gebürte, daz ist wâr.
14705 Her Prisciân hête vil wol getihtet,
14706 Hêt er sich selber niht vernihtet:
14707 Er zôch ûf sich den êwigen fluoch
14708 Daz man erloubte sîniu buoch;
14709 Dâ mit sî der rede genuoc.
14710 Nît, der ie ûf die frumen sluoc,
14711 Der hât gesinde, daz sleht ouch zuo
14712 Ûf swen er sleht, spât unde fruo:
14713 Der ist joch genuoc dâ vor genant:
14714 Diube füert unkust an der hant,
14715 Triegen, liegen sint gespiln,
14716 Metten ziuht an irem siln,
14717 Swern, fluochen, unreht gerihte
14718 Habent mit nîde und zorn pflihte:
14719 Des vellet von irn sachen
14720 Manic sêle in tiufels lachen.
14721 Ein übel hunt bîzet in den stein
14722 Sô man in wirfet, seht als unrein
14723 Sint nît und haz: swer in iht tuot,
14724 Des liumunt bîzent si, swie guot
14725 Er ist, swie kiusche, swie reine,
14726 Wenne si sint übel und ungemeine
14727 (Swer hât der Wîsheit buoch gelesen,
14728 Der muoz des mîn geziuc hie wesen)
14729 Und des ein man gein in geniezen
14730 Sölte, des wil si verdriezen.
14731 Swer vor in rüert die heiligen schrift,
14732 Den schiuhent si als ein gift:
14733 Daz weistu, herre Jesu Crist,
14734 Wenne du von in gemartert bist
14735 Üm daz dîn heiliger, süezer munt
14736 Die wârheit tete ze verre in kunt:
14737 Daz nîden si und was in zorn.
14738 Manic man hât den lîp verlorn.
14739 Swenne er zwêne wolte scheiden
14740 Die der zorn machte unbescheiden
14741 Nu hœrt waz zeimâl einem geschach,
14742 Dô er sînen gevatern sach
14743 Sîn selbes hûsfrouwen strâfen
14744 Mit slegen, daz si schrei wâfen:
14745 Er kam und wolte helfen ir:
14746 "Disen zorn gebet mir",
14747 Sprach er, "trût gevater mîn"!
14748 "Des enmac iezunt niht gesîn,
14749 Gevater, unz daz ich mich baz
14750 An ir geriche". "Und tuot ir daz
14751 Und gewert mich niht des ich iuch bite,
14752 Da betrüebet ir mîn herze mite!"
14753 Er sprach: "wöllet ir sîn niht enbern?"
14754 "Nein ich zwâre! sô tuon ichz gern!"
14755 Er stiez die frouwen von im hin dan
14756 Und begreif den guoten man
14757 Bî sînem hâre und warf in nider.
14758 Der schrei und strebte vaste wider:
14759 "Wê gevater! waz tuot ir?
14760 Wie lônet ir mîner triuwen mir?"
14761 Er sprach: "Ich gap iu mînen zorn,
14762 Iuwer triuwe ist dâr üm niht verlorn."
14763 Ir nâchgebûren die liefen zuo
14764 Und schieden si. Des morgens fruo
14765 Klagte jener dem rihter,
14766 Daz er übel gehandelt wêr
14767 Von sînem gevatern. Der kam dar
14768 Und sagte die sache dem rihter gar,
14769 Wie er in bête üm sînen zorn.
14770 Der rihter sprach: "Sô sî verkorn
14771 Güetlich, swaz er in habe getân!"
14772 Dô er sich selber dâ versan,
14773 Dô sprach er: "Sam mir sêle uud lîp!
14774 Und slüege man vürbaz alliu diu wîp
14775 Diu in der werlde ie wurden geborn,
14776 Ich bête nieman üm sînen zorn!"
14777 Zornes kriec hât selten lop,
14778 Dâ von sprach der guote sant Job:
14779 "Zornes unbescheidenheit
14780 Würket niht gotes gerehtikeit".
14781 Liegen, sweren, fluochen, schelten
14782 Von dem zorn sich scheident selten.
14783 Ob man die wârheit sprechen sol,
14784 So getrûwet nieman dem andern wol,
14785 So geloubet nieman dem andern niht
14786 Genzlich, wenne man ofte siht
14787 Daz triuwe und eide werdent gebrochen
14788 Und manic bœse wort gesprochen
14789 Von jungen liuten, daz ungerochen
14790 Belîbet: dâ von muoz nu sochen
14791 Zuht und alliu reinikeit
14792 Von gemeiner freidikeit.
14793 Wir lesen in der vehter buochen
14794 An dem ende des êrsten, swer ez wil suochen,
14795 Daz Ptolomêus ze hûse bat
14796 Sînen sweher Symôn an ein stat
14797 Dâ liute bî im verborgen lâgen,
14798 Die sînes lebens wolten lâgen;
14799 Und dô sî trunken wurden alle,
14800 Dô liefen jene her vür mit schalle
14801 Und sluogen in und swer bî im was.
14802 Jûdas und Matathîas,
14803 Sîne zwêne süne, wurden mit im erslagen
14804 (Diz hœrt man noch die juden klagen):
14805 Ir möhte ein teil wol sîn genesen,
14806 Wêrn si trunken niht gewesen.
14807 Ouch fuogte diz jâmer und diz leit
14808 Hern Ptolomêus gîtikeit,
14809 Der sînen sweher dâr üm liez morden
14810 Daz er wolte über si herre sîn worden.
14811 Goldes und silbers hete er genuoc:
14812 Diz machte daz er sô hôhe truoc,
14813 Daz er triuwen und êren vergaz
14814 An sînem sweher, der mit im âz.
14815 Hât erz selber niht getân,
14816 Sô tâtenz aber sîne man.
14817 Manic mensche gibt oft bœsen rât
14818 Und wil unschuldic sîn der tât,
14819 Diu von dem bœsen râte geschiht:
14820 Mit Jûdas hât der selbe pfliht.
14821 Die jungen lernent gerne bî den alten
14822 Daz man si grôzer unzühte siht walten,
14823 Wenne in daz leider nieman wert
14824 Und si mit slegen nieman bert.
14825 Si lachent sô si missetuont,
14826 Und stênt vil wênic als ich stuont
14827 Mit vorhten vor mîns herren stuol
14828 Und mit engsten in der schnol.
14829 Swelch herze ist tratzes und krieges vol,
14830 Daz tuot durch strâfen selten wol:
14831 Des grûwet mir daz jungiu kint
14832 Sô traz und nu sô kriegisch sint,
14833 Daz wort und were, slege und zorn
14834 An in sô gar nu sint verlorn
14835 Daz si niht vil tuont dester baz.
14836 Swer si nu strâfet, der bichet naz,
14837 Wenne si sint sô gar durchtriben
14838 Mit baltheit und sô gar geriben,
14839 Daz siben untugende ê sint bekliben
14840 In in denne ein unzuht vertriben.
14841 Zeimâl schriren kinder an
14842 Elysêum den heiligen man:
14843 "Ganc ûf, kalwer, stîc ûf her"!
14844 Den selben kinden fluochte er,
14845 Des enwolte ir tolmuot niht enbern:
14846 Dô kâmen geloufen zwêne bern,
14847 Die zwei und vierzic kint zerizzen.
14848 Swer schalkbaft ist und unverwizzen,
14849 Gêt sîn der hie genozzen hin,
14850 Daz wirt doch selten sîn gewin.
14851 Wol im, den got pînet ûf erden
14852 Und pîn in dort lêt über werden!
14853 Swen sîn schalkhaft herze lêrt,
14854 Daz er wort und werc verkêrt
14855 Einveltiger liute und denne lachet,
14856 Swenne er si schamrôt gemachet:
14857 Der wizze daz ein bœser geist
14858 Im daz rêtet aller meist:
14859 Wenne schelke sint des tiufels spot,
14860 Einveltige liute minnet got.
14861 Sölte eide und schalkeit got nu rechen
14862 Und bœsiu wort, diu wir ouch sprechen,
14863 Als er an den kinden tet:
14864 Wie maniger tôt wêr, der noch gêt!
14865 Man hœrt nu leider manigen eit,
14866 Der niuwelich in der kristenheit
14867 Vil unbillich gewesen wêre:
14868 Wem sölte daz niht wesen swêre
14869 Und schricken machen in sînem muote,
14870 Sô man swert bî gotes bluote,
14871 Marter, genâde, milte, güete?
14872 Diu werlt tuot rehte als ob sî wüete,
14873 Wenne si leider nieman zemt
14874 Biz si sich in einander lemt:
14875 Wenne gotes güete ist alsô grôz,
14876 Den sîner milte nie verdrôz,
14877 Daz er ûf bezzerunge uns gît
14878 Allen frist ûf lange zît.
14879 Sîn süezer munt sprach wîlent alsô
14880 (Daz stêt in dem Evangeliô):
14881 "Wê dir werlt von ergerungen,
14882 Die bî den alten lernent die jungen!
14883 Wê im, der ergert daz minste kint
14884 Der die an mich gloubende sint!
14885 Dem wêr bezzer daz gebunden
14886 Eîn mülstein wêr an sîn kel unden
14887 Und daz er an des meres grunt
14888 Würde gesenket!" Waz der iezunt
14889 Leider ist, der wort, der leben
14890 Bœse bilde man siht geben
14891 Allen den die bî in sint,
14892 Si sîn alte liute oder kint!
14893 Nu sül wir aber vürbaz rennen
14894 Und unsern herren baz erkennen!
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Administration: Henrike Lähnemann Zuletzt geändert am 12.11.2004