CXXXIX. Von kriegen vn[d] werren nahent vn[d] verren.
21821 Nôt ist uns allen, herre Krist,
21822 Daz du sô barmherzic bist!
21823 Wenne var ich nâhen oder verre,
21824 Sô vinde ich einez, daz heizet werre,
21825 In steten, in dîrfern und ûf burgen:
21826 Sîlte man pfaffen und münche würgen,
21827 Bî den ez wont in manigen landen,
21828 Sô würde manic convent ze schanden.
21829 Diu werlt ist wît, die klœster enge:
21830 Swer in den belîben sol die lenge,
21831 Der ist sêlic ob er vermîdet
21832 Nit und ob in nit niht snîdet.
21833 Swer nu kan zwitzern wider zwieren,
21834 Velschlich truffieren und partieren
21835 Und mit zwein zungen snîden kan,
21836 Den heizet man einen wîsen man.
21837 Ein volc heizet man trüller ruffiân,
21838 Daz übels mêre denne der tiufel kan:
21839 Und wizzet daz kein rein man
21840 Ze gesinde daz selbe volc nie gewan.
21841 Swelhe tiufel vürbaz wîllen belîben
21842 An irm gewalte, die müezen schrîben
21843 Niuwiu buoch von bœsen listen:
21844 Si machent anders bœse kristen,
21845 Beide leien unde pfaffen,
21846 Helle narren und werlt affen:
21847 Wenne die liste sint alle gevangen,
21848 Der si sich biz her habent begangen:
21849 Si müezen niuwe liste vinden,
21850 Wîllen si bœse kristen binden
21851 Und gevangen mit in füeren.
21852 Man kan die rede nu anders snüeren
21853 Und in maniger kluppen spalten,
21854 Denne wîlent tâten unser alten.
21855 Des suochet man ofte manigen man,
21856 Der swinde und valsche rête kan,
21857 Mêre durch sîn unkust denne durch liebe:
21858 Des selben triuwe wirt ofte ze diebe:
21859 Swenne er hât bœse kündikeit
21860 Vür grôzer witze verstandenheit,
21861 Sô dunket in der ein tummer man,
21862 Der valscher rête niht enkan.
21863 Selten wazzer ist gerunnen
21864 Süeze und bitter ûz einem brunnen,
21865 Sô habe wir âdem ze aller stunde
21866 Kalt und warm in einem munde.
21867 Wol die jungen mit den alten,
21868 Die den warmen von den kalten,
21869 Süezen und bittern alsô scheiden,
21870 Daz si niht sünden mit in beiden:
21871 Ich meine mit lobe oder mit schelten,
21872 Mit nâchkôsen, daz nu selten
21873 Ieman in der werlde mîdet!
21874 Wol in, des zunge nieman snîdet!
21875 Manic boum ist blüete und loubes vol,
21876 Des stam doch inne ist kernes hol:
21877 Manic man ist süezer worte vol,
21878 Des herze doch inne ist triuwen hol,
21879 Als glîchsener und gitiger,
21880 Judisten und wîptrügener
21881 Und ouch ander valsche liute,
21882 Der man vil leider vindet hiute,
21883 Der herze gar sind tugende lêre
21884 Und wênt man ofte si sîn gewêre.
21885 Slehtiu einvalt hât vil bezzer lop:
21886 Des sprach her Salomôn und her Job:
21887 "Des glîchseners trôst und hoffenunge sint
21888 Als distel blüete, die der wint
21889 Füert über velt und si zeströuwet,
21890 Der selten ieman wirt gefröuwet".
21891 Mit glîchsenheit wirt man betrogen,
21892 Gîtikeit dunket ouch wol gezogen:
21893 Si zwuo habent pfaffen und münche berâten,
21894 Daz si worden sint prêlâten
21895 Und erger wurden denne vor.
21896 Unsanft vindet man ir beider spor,
21897 Wenne valscheit in iren herzen lûzet.
21898 Diu von jâre ze jâre sich mûzet
21899 Biz daz si hât vol recket gar:
21900 Etswâ wirt man ir denne gewar.
21901 Sôgetân liute werdent rîche:
21902 Die gerehten lebent kumerlîche,
21903 Die rîchen trœstet ûf erden ir hort:
21904 So gefröuwet unser herre die sînen dort.
21905 Swer bûwet gein himel hôhe gibel
21906 Und ûf der erden als ein wibel
21907 Tac und naht nâch guote grübelt
21908 Und ein pfunt ûf daz ander schübelt,
21909 Der ist ein irdisch nagemûs
21910 Und hât ob im ein hôhez hûs,
21911 In dem er anders niht erwirbet
21912 Denne diz lop, swenne er erstirbet:
21913 Wer machte daz hûs, waz mannes was er?
21914 Ein diep, rouber oder wuocherer?
21915 Maniges menschen arbeit lît dâr an,
21916 Daz trôst noch hilfe sîn nie gewan.
21917 Ie nêher und nêher dem jüngsten tage,
21918 Ie grœzer untriuwe, ie grœzer klage!
21919 Wie gein dem jüngsten tage stê
21920 Diu werlt, daz hât sant Thymotê
21921 Sant Pauls geschriben wol ze diute,
21922 Wie gîtic, wie freidic werdent die liute.
21923 Mich dunket ân allen widerstrît,
21924 Daz diu werlt und ouch diu zît
21925 Vil anders nu stên denne hie vor:
21926 Aleine diu jugent mir trüege enbor
21927 Beidiu herze und lîp, nu merkte ich wol
21928 Daz diu werlt niht sô vol
21929 Was maniger bœsen kündikeit:
21930 Triuwe, milte, einveltikeit
21931 Wonten vil mêre den liuten bî
21932 Denne in der werlde nu leider sî,
21933 Dô diu wort niht hiubelîn,
21934 Kappen und kutzmentelîn
21935 Ûf in truogen und siben sinne
21936 niht verborgen lâgen drinne.
21937 Des siht man jungiu fühselîn
21938 Vil klüeger denne ir veter sîn
21939 Ûf alliu bœse tückelîn:
21940 Seht, diz machet mir ofte pîn!
21941 Wenne dô die liute sich des flizzen,
21942 Daz si hêten enge gewizzen
21943 In irn gedanken heimlich,
21944 An worten, an werken offenlich
21945 Und ir selbes herze sâhen,
21946 Dô sach man niht sô manigen gâhen
21947 Mit metten ûf anderre liute schande,
21948 Der herze er doch nie rehte erkande.
21949 Maniger ein gewizzen hât,
21950 Daz ein grôz fuoder höuwes gât
21951 Durch si mit guotem rûme.
21952 Den bringet man dar zuo kûme,
21953 Und wonte er guoten liuten bî,
21954 Daz er wizze waz gewizzen sî.
21955 Sît nasen, ougen, ahseln, hende
21956 Hin und her begonden wende
21957 Der liute wort und iren münden
21958 Die rede hulfen gar durch gründen:
21959 Sît wart diu werlt mêre betrogen
21960 Denne dô die liute wol gezogen
21961 In rehter einvelte wâren
21962 Und dennoch niht gebâren
21963 Konden als die goukeler,
21964 Riemenstecher und kegeler.
21965 Wâ vindet man nu daz jâ und nein
21966 Stête belîbe zwischen zwein,
21967 Daz hundert wîlunt hielten stête,
21968 Die wîle diu werlt iht triuwen hête?
21969 Ein dinc muoz mich immer riuwen:
21970 Daz unsern eiden und unsern triuwen
21971 Nieman schier gelouben wil:
21972 Und wêr wir juden, des wêre ze vil!
21973 Wizzet daz bœsiu kündikeit
21974 Noch zestœrt die kristenheit,
21975 Wenne wîse leien und tumme pfaffen
21976 Machent vil ketzer und vil affen.
21977 Diu heilige schrift, wazzer und gluot
21978 Schônent niemannes und sint doch guot:
21979 Swer niht der heiligen schrift geloubt,
21980 Rehtes gelouben er sich beroubt.
21981 Kunst, jugent, friunde, êre und guot
21982 Verleitent maniges menschen muot,
21983 Daz er der werlde hi gestêt
21984 Und nâch fleischlichem sinne gêt.
21985 Ob kristen geloube niht heilic wêre,
21986 Er sîlte doch nieman sîn unmêre
21987 Von manigem tugentlichem site,
21988 Der unserm gelouben volget mite.
21989 Swelch mensche ûf gotes dienst niht ahtet
21990 Und wênt, ez sî dâr üm ertrahtet
21991 Daz sich die pfaffen sîn begên,
21992 Wizzet der wil wider stên
21993 Kristen gelouben und rehter lêre.
21994 Wir haben der pfaffen frumen und êre:
21995 Ir lêre machet wildiu herzen zam
21996 Und sint doch manige liute in gram,
21997 Die doch ir nimmer mügen enbern,
21998 Si tuon ez mit willen oder ungern:
21999 Wenne si rîten oder loufen
22000 Nâch in müezen, sol man toufen
22001 Ir kint oder ir gesinde bewarn,
22002 Swar ouch si selber hin varn.
22003 Die wîle man kirchen und antlâz suochet,
22004 Die wîle man toufe und bîhte geruochet,
22005 Die wîle man messe und predige hœrt,
22006 Sô wirt unser geloube niht zestœrt.
22007 Doch ist ein unzimlicher site,
22008 Der noch genuoc liuten volget mite,
22009 Die man siht ze messe stên
22010 Und nâch dem evangêliô gên
22011 Ze dem luoder oder anderswar:
22012 Den wêr vil bezzer daz si dar
22013 Kêmen und unsers herren war
22014 Nêmen, sô der priester gar
22015 Der messe kraft begriffen hât
22016 Und vür unser missetât
22017 Unsern herren biten sol.
22018 Seht daz zême uns allen wol,
22019 Daz wir hin zuo nâhen trêten
22020 Und gar inneclîchen bêten
22021 Mit dem priester, daz got erbarmen
22022 Sich gerüechet über uns armen!
22023 Wenne ich hân gar ein schricklich wort
22024 In der heiligen schrift gehôrt:
22025 "niht minner ist schuldic der wêrlîchen,
22026 Der gotes wort hœrt versiumiclichen
22027 Denne der vor sîner missetât
22028 Unsers herren lîchnam vallen lât
22029 Ûf stein oder holz oder an die erden":
22030 Welch rât sol denne der liute werden,
22031 Die ze predigen und messen williclîchen
22032 Gar ofte klaffent unnützlîchen?
22033 Die sûment sich selber und ander liute:
22034 Des geschiht noch gar vil leider hiute.
22035 Natern, kroten, slangen, spinnen
22036 Und swaz gift treit, siht man entrinnen
22037 Von der wînreben, swenne si blüet:
22038 Sam tuot der mensche, den daz müet
22039 Ob ein priester lange singet.
22040 Swen verdriuzet, dâ im wol gelinget
22041 Und gern ist, dâ sîn sêle verdirbet,
22042 Vil selten er êwige sêlde erwirbet.
22043 Trêger man und unversunnen
22044 Hât selten guot und êre gewunnen.
22045 Swer got liep hât von herzen grunde,
22046 Der flîzet sich tugende ze aller stunde:
22047 Des entuont die niht, die sich verschement
22048 Und ofte irm ebenkristen nement
22049 Mit lügen sîn êre, mit diube sîn guot,
22050 Als noch maniger ûf erden tuot.
22051 Ein diep sich durch ein venster want
22052 In einen krâm, in dem er vant
22053 Eines nahtes vil dinges, ze dem er saz:
22054 Nu wolte er diz, nu wolte er daz
22055 Ûz weln, des gar vil bî im lac.
22056 Dô kam ûf in der liehte tac,
22057 Mit dem der krâmer ouch în gienc,
22058 Der in der wal mit leide in vienc
22059 Und im ouch an gewan sîn leben.
22060 Diz bîspel gêt ûf die vil eben,
22061 Die man der sêle dinc ûf siht sparn,
22062 Die diz und daz ê wîllent bewarn
22063 Dâ mit si vor bekumert sint,
22064 Ez sî guot, êre, friunde oder kint:
22065 Ê denne si daz nâch irem willen
22066 Gar verrihten und gestillen,
22067 Sô kumt irs lebens jungster schîn,
22068 Mit dem der krâmer ouch gêt în,
22069 Der aller der werlde ir fröude nimt.
22070 Wîsen liuten vil wol zimt,
22071 Daz si dirre werlde lützel ahtent
22072 Und nach dem êwigen leben trahtent,
22073 Wê den, die nâch uns süllen kumen!
22074 Sît wir so manige untât vernumen,
22075 Sô vil unbildes haben gesehen,
22076 Wie sol den armen denne geschehen,
22077 Die bî der freidigen werlde belîben?
22078 Als uns die heiligen lêrer schrîben
22079 Nâch sant Augustînus sage:
22080 Swenne ez nâhent dem jungsten tage,
22081 Sô wirt arger liute sô vil
22082 Daz ir nieman weiz ein zil.
22083 Gîtikeit, unkust, freidikeit
22084 Werdent sô frech, sô grôz, sô breit,
22085 Daz alliu barmherzikeit,
22086 Wârheit. triuwe, gerehtikeit
22087 Müezen entwîchen und under gên
22088 Oder mit vorhten trûric stên.
22089 Urliuge, hunger, ertbidemunge,
22090 Muotwille, unredelich ordenunge,
22091 Verrâten, hôchfart, kriec und strît,
22092 Bî pfaffen und münchen haz und nît:
22093 Diu tempel beginnent wüeste stên,
22094 Daz volc nâch sînem willen gên,
22095 Ûf geistlich leben lützel ahten,
22096 Sînes lîbes gelust aleine betrahten;
22097 Gehôrsam nieman wil behalten,
22098 Wenne die jungen spottent der alten;
22099 Nieman dem andern gar getrûwet,
22100 Einem kint gein sînem vater grûwet;
22101 Diu kint gewinnent grâwez hâr
22102 Von grimmen sorgen, daz ist wâr:
22103 Wenne sô grôz angest unde nôt
22104 Wirt in der werlde, daz lieber tôt
22105 Die liute wêrn denne daz si lebten
22106 Und in disen sorgen swebten.
22107 Alliu kurzwîle under gêt,
22108 Wênic dîrfer und stete bestêt,
22109 Si werdent wüeste und sêre betwungen
22110 Von hunger, wazzer, ertbidemungen,
22111 Von siuche, von morde, von jâmer klagen,
22112 Von manigem unheile: seht, in den tagen
22113 Kumt der endekrist mit gewalt:
22114 Sô wê dir junc, sô wê dir alt,
22115 Der die zît gelebet hât,
22116 Daz alliu diu werlt in werren gât!
22117 Von der materie wêr schrîbens zît,
22118 Wêr der hin dan, der bî mir lît:
22119 Ich meine den kummer, der mich twinget
22120 Und mir ofte truren bringet.
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Administration: Henrike Lähnemann Zuletzt geändert am 26.02.2004