1. Handschriftenbeschreibung

Universitätsbibliothek Heidelberg, Codex Palatinus Germanicus 67, ‘Der jüngere Sigenot’

Die Handschriftenbeschreibung orientiert sich an den DFG-Richtlinien zur Handschriftenkatalogisierung,1 ist aber an einigen Punkten ausführlicher gehalten. Zum Verständnis des vorliegenden Faksimiles werden auch Einzelheiten angegeben, auf die innerhalb eines größeren Handschriftenkatalogisierungsprojekt verzichtet werden kann, beispielsweise zur Rubrizierung. Im Vergleich mit einer größeren Anzahl spätmittelalterlicher Handschriften kann sie als ‘durchschnittlich’ zusammenfassend charakterisiert werden, aber für diese konkrete Ausgabe ergeben sich trotzdem daraus wichtige Aufschlüsse über Entstehungsprozesse der Ausstattung.

Papier (teilweise erneuert), 104 Bll., 20 x 14 cm (beschnitten), „Werkstatt des Ludwig Hennfflin“ um 1475

Beschreibung des Äußeren:

Papier mit neueren Ergänzungen (s. Restaurierungsbericht im hinteren Spiegel) mit drei Wasserzeichen: Ochsenkopf mit einkonturiger Stange und Blume (Piccard XII, 268? Nördlingen/Ellwangen 1461/62: f. 1/10, 4/7, 5/6, 13/22, 15/20, 17/18 (?verklebt), 26/33, 27/32, 36/?, 37/46, 41/42, 51/56, 52/55, 56, 89/90 und 86/93=43*); Ochsenkopf mit zweikonturiger Stange, Blume und Kreuz (Piccard XIII, 589 Nördlingen/Ellwangen 1462/63: f. 49/58, 60/71); gekreuzte Schlüssel mit zweikonturiger Stange und Kreuz (Wage 3382: Bayern, Tirol, Mitteldeutschland 1464–1476, ähnlich Piccard IV 47, Augsburg 1464: f. 75/80, 73/82, 51*/102*, ?/46*, 84/?). Durch das Quartformat finden sich die Wasserzeichen im Falz und sind daher nur teilweise zu erkennen, v.a. da bei der Restaurierung zur Stabilisierung der abplatzenden Grünflächen Japanpapier auf vielen Blättern gerade in Falznähe geklebt wurde.

Lagen: 8VI, IV (Spiegel, vorgeklebte Blätter I (1*, 2*, 1–11) II (Lagenmitte 17/18; f. 12–23) III (29/30; f. 24–35) IV (41/42, f. 36–47) V (53/54, f. 48–) VI (65/66) VII (77/78) VIII (89/90; 91=41*–46*) IX (47*–51*, 102*–104*)), Spiegel mit eingeklebtem Instandsetzungs-Bericht: „Dieser Band – Cod. Pal. germ. 67 – wurde im März 1962 von Buch-Restaurator Hans Heiland u. Sohn, Stuttgart, wieder instandgesetzt und restauriert. Die Aufnahme zeigt den Zustand der Blätter vor der Instandsetzung. Sämtliche 104 Blätter mit kolorierten Handzeichnungen zeigten zum Teil schwere Zerfallschäden lediglich an den mit grüner Farbe gemalten Partien. (Schweinfurter Grün?) enthält Arsen und Kopferacetat) Blatt für Blatt wurde einzeln behandelt und das Zuviel des Farbauftags, das bereits abbröckelte und sich in die Falzengen festgesetzt hat, abgetragen. Lediglich die grün gemalten Partien wurden mit Japanpapier und Pergamentleim regeneriert /Ausbruchstellen doppelseitig gefestigt. Lagen neu geheftet und neuen Lederrücken ergänzt. 2 Riemenschließen stilgerecht ergänzt. Zuffenhausen, im März 1962.

Seiten zum Binden beschnitten (oberer Rahmenrand der Bilder stößt an die Oberkante der Seiten, z. B: f. 12r), aber kein Textverlust.

Alte Foliierung, wohl nach der (Neu)bindung auf den Versoseiten eingefügt, da auf den Rectoseiten durch das breitere Bildformat nicht genügend Platz zur Verfügung stand; bei 90 versehentlich auf 40 gesprungen, so daß 91ff=41ff numeriert sind (zitiert mit f. 1–90 bzw. 41*–51*. Moderne Bleistiftzählung der Strophen (1–201); die leergebliebenen bzw. neu eingefügten Seiten am Anfang und Ende mit Bleistift nachträglich numeriert (1–2* und 102–104*).

Schriftraum: Schriftspiegel für jede Seite mit Streicheisenlinien umgrenzt (Breite variiert leicht: 7,6–8,9), und liniert (13 Zeilen à 0,6cm). Die Bildrahmen richten sich auf der linken Seite nach dem Schriftspiegel, überragen ihn auf den Verso-Seiten um wenige Millimeter (ca. 9 x 9 cm), auf den Recto-Seiten regelmäßig um etliche Zentimeter (ca. 11–11,7 x 9 cm)

Zeilenzahl: Jede Strophe auf einer separaten Seite, so daß jede Seite 13 Zeilen aufweist.

Schrift: gleichmäßige, geübte, runde Bastarda von einer Hand (keine Rubrizierung, keine Schmuckbuchstaben, keine Überschriften). Der Schreiber wurde als Schreiber B der Hennfflin-Werkstatt gezählt2; weitere Hennfflin-Handschriften konnten ihm nicht zugeschrieben werden.3 Dunkelbraune Tinte; die Strophen sind versweise abgesetzt mit Virgeln am Ende; orthographische Eigenheiten: diakritische Zeichen über a, o, u, y (ÿ), nur teilweise distinktive Bedeutung: regelmäßig ú (u mit übergeschriebenem i) für altes iu in dú úwer sú, für altes uo und ov für altes ou; wenig Doppelschreibungen; als Abkürzungen nur Strich durch das b bei umb und teilweise doppeltes n oder m durch Nasalstrich über n angedeutet, selten er-Kürzel bei her9; häufiger Durchstreichungen und Verbesserungen durch den Schreiber selbst (10v 12: nach durchstrichenem und steht sin etc.4). Schreibervermerk: f. 102r: Hie haut ryss Sigenot ein end/ Gott uns allen kummer wend/ Lud. Hennfflin. Geheimschrift? f. 46*r Ostqaro stqarlas VI

Illustrationen: 201 kolorierte Federzeichnungen, auf jeder Seite eine bis auf f. 30r (dort nur Bildrahmen); 1/3 der Seite umfassend; doppelter Bildrahmen mit Feder vorgezeichnet; der innere Bildrahmen entspricht meist den vorgeritzten Linien des Schriftspiegels, d.h. ca. 14–17 x 13–15 cm; für die Themen der Miniaturen und ihre Plazierung in der Hs. Der Zeichner A der Ludwig Hennfflin-Werkstatt, dessen distinktiver Stil die Bestimmung der Gruppe der Hennfflin-Handschriften ermöglichte5, zeichnete auch die Bilder in den Kodizes Cpg 16–18 (AT Deutsch), Cpg 142 (‘Pontus und Sidonia’), Cpg 353 (‘Die Heidin II’ = ‘Wittich vom Jordan’), Cpg 152 (‘Herpin’) und Cpg 345 (‘Lohengrin’ und ‘Friedrich von Schwaben’); zur gleichen Gruppe gehört noch Cpg 143 (Johann von Würzburg: ‘Wilhelm von Österreich’), bei dem die vorgesehenen Miniaturen unausgeführt blieben.

Die Vorzeichnung gibt die Umrisse der Personen und der Architektur an und modelliert Gesichter durch Schattierungen; Verbesserungen v.a. von Beinstellungen (häufig Schuhspitze über den Rahmen hinausragend). Die Kolorierung gibt den Personen eine stereotype Farbpalette: auffällig ist dabei, daß im Einleitungsbild (zur Prologstrophe) die vom Zeichner als Hildebrant angelegte Figur (typische Mütze, Bart) nicht das sonst immer erscheinende gelbe Gewand mit rotem Muster erhält, sondern ein blaues Gewand: soll hier eine Erzählerfigur eingeführt werden?

Jeweils eine Farbvariante zum Lavieren und eine zum deckenden Übermalen bei Gelb, Rot, Blau, Grün verwendet; Grau und Braun nur zum Lavieren, Schwarz nur deckend; Schwarz jeweils als letzte Farbe aufgetragen, um Konturen über Farbflächen zu legen. Kleider einfarbig laviert, darüber teilweise Muster mit deckendem Grün, Gelb oder Rot; ausgesparte Lichter bei Gesichtern und Kleidung. Landschaften im Hintergrund vom Koloristen mit Tusche modelliert; teilweise mit roter Tusche Kirchturmspitzen auf die Hügelkonturen der Federvorzeichnung gesetzt. Wegener6 nennt als Farben, die in der Werkstatt verwendet wurden „Schwarz, Deckgrün, lackartiges dunkles Grün, Kobalt, Indischgelb, Chromgelb, Umbra, Zinnober und Karmin.“ (negative Kurzbeschreibung: „Die Bildbühne ist meist ein einfaches, unbewachsenes Bodenstück, das nur selten durch einige flache Kulissen mit roten Kirchturmspitzen vertieft ist. Die Figuren sind meist nebeneinander geordnet, zuweilen auch an den Seiten zu Köpfegruppen zusammengestellt. blauer, nach unten aufgehellter Himmel. Schmale, rot-gelb-rote Umrahmung. Darstellung der Figuren, Tiere usw. wie in pal. germ. 16 [S. 75f]. Die Bäume haben einen gelben Stamm und eine sehr kleine, aus einzelnen Blättern gebildete Laubkrone. Bei der großen Zahl von Illustrationen mußte der Zeichner häufig dieselbe Szene mehrere Male darstellen. Er bringt dann in die einzelnen Bilder durch veränderte Haltung der Personen nur geringe Unterschiede. Die ganze Illustration wirkt dadurch sehr gleichförmig und langweilig trotz der sehr blutig geschilderten Kampfszenen.“)

Einband: Ottheinrichseinband7: Ledereinband mit Blindprägung durch Rollenstempel (‘Salvatorrolle’ mit Sündenfall, Kreuzigung, Auferstehung auf den inneren Borten, antikisierende Medaillons mit Rankenwerk auf den äußeren Borten); Goldgeprägtes Konterfei Ottheinrichs mit den Initialen OH und PG; Metallschließen und Beschläge der Ecken; Rücken und Teile der Schließen neu. Die beiden in einen Ottheinrichseinband gebundenen Quarthandschriften der Hennfflin-Werkstatt (sonst nur Folianten) Cpg 67 und Cpg 353 (‚Die Heidin’) wurden daher als einzige aus der Gruppe der Hennfflin-Werkstatt nicht mit einem römischen Pergamentumschlag versehen wie die weniger wertvollen Einbände, die zur Gewichtsreduktion beim Transport nach Rom 1623 ihres Holzdeckels beraubt wurden8. Der Einband ist restauriert, dabei wurde der Rücken ersetzt (vgl. Bericht im hinteren Spiegel). Beschriftung: C 135 und 1435 [mit Tinte auf das Leder geschriebene Nummer des Allacci-Registers] 1558 [Bindedatum in Gold geprägt], im Deckel mit Tinte Bibliothekarseintrag des 20. Jh. (Bibliothekar Fincke): Cod. Pal. Germ. 67. Pap. Saec. XV. Fol. 1*. 2*. 1–90. 41–51 (pro 91–101). 102*–104*. Ornatus est codex imaginibus 201 pictis; fol 30r imago cum textu non inest. Continet: Sigenot . Stempel 1v Bibl. Univ. Heidelb. im blauen Kreis.

Geschichte der Handschrift: Die Herkunft aus der nach dieser Handschrift sogenannten Ludwig Hennfflin-Werkstatt und die Auftraggeberin Margarete von Savoyen (†1479) lassen sich durch den Vergleich mit den anderen Heidelberger Handschriften des gleichen Zeichners erschließen: Cpg 17 weist das Datum 1477 auf, Cpg 18 und Cpg 353 das Savoyer-Wappen (silbernes Kreuz auf rotem Grund) bzw. Cpg 345 in sehr einfacher Ausführung (rote Tinte und ausgesparter Papierzwischenraum) die Wappen von Württemberg (drei Geweihstangen) zusammen mit dem von Savoyen; Möglicherweise enthalten auch die Buchstaben VEZ auf dem Rocksaum des Ratgebers in der ‘Pontus und Sidonia’-Handschrift, f. 23v, einen Hinweis auf den Zeichner oder die Auftraggeberin. Es finden sich keine Lesehinweise in Form von Glossen o.ä.; die Handschrift verblieb (wohl über Margaretes Sohn Kurfürst Philipp) im Privatbesitz der Kurfürsten, bis deren Handschriften schließlich in die Palatina weitervererbt wurden; der Cpg 67 wurde jedenfalls mit den übrigen Palatina-Handschriften 1621 nach Rom verbracht. Er wurde dort nicht, wie einige andere deutsche Heidelberger Kodizes, von Adelung eingesehen und beschrieben, ist aber nach der Rückführung 1816 im ersten Handschriftenkatalog9 verzeichnet.

Mundart: Westschwäbisch „mit starker Betonung der Mundart“10; die alten Monophthonge sind noch erhalten (altes ei grundsätzlich als ai geschrieben); für anlautend b und d steht häufig p und t. Für mundartliche Wortformen (z.B. -ot im PPP) wird teilweise auch der Reim aufgegeben.

Inhalt: ‚Der jüngere Sigenot’; kritische Edition mit Verzeichnis der Lesarten der Heidelberger Handschrift (= h1) bei Schoener.

Literatur zur Handschrift (chronologisch geordnet; für die vollständigen Titel vgl. das Literaturverzeichnis): Wilken (1817), S. 332; Bartsch (1887), S. 19f (nr. 43); Wegener (1927), S. 71 und 79; Schoener (1928), S. XIV–XVII; Zupitza (1968: Deutsches Heldenbuch V), S. ?; Werner (1975), S. 96; Heinzle (1978), S. 320; .