1.
Das Bilderbuch
Von der Poesie sucht Kunde
Mancher in gelehrtem Buch,
Nur des Lebens schöne Runde
Lehret dich den Zauberspruch;
Doch in stillgeweihter Stunde
Will das Buch erschlossen sein,
Und so blick ich heut hinein,
Wie ein Kind im Frühlingswetter
Fröhlich Bilderbücher blättert,
Und es schweift der Sonnenschein
Auf den buntgemalten Lettern,
Und gelinde weht der Wind
Durch die Blumen, durch das Herz
Alte Freuden, alten Schmerz -
Weinen möcht ich, wie ein Kind!
2.
Der alte Held
(Tafellied zu Goethes Geburtstag 1831)
Ich habe gewagt und gesungen,
Da die Welt noch stumm lag und bleich,
Ich habe den Bann bezwungen,
Der die schöne Braut hielt umschlungen,
Ich habe erobert das Reich.
Ich habe erforscht und ergründet
Und tat es euch treulich kund:
Was das Leben dunkel verkündet,
Die Heilige Schrift, die entzündet
Der Herr in der Seele Grund.
Wie rauschen nun Wälder und Quellen
Und singen vom ewigen Port:
Schon seh ich Morgenrot schwellen,
Und ihr dort, ihr jungen Gesellen,
Fahrt immer immerfort!"
Und so, wenn es still geworden,
Schaut er vom Turm bei Nacht
Und segnet den Sängerorden,
Der an den blühenden Borden
Das schöne Reich bewacht.
Dort hat er nach Lust und Streiten
Das Panner aufgestellt,
Und die auf dem Strome der Zeiten
Am Felsen vorübergleiten,
Sie grüßen den alten Held.
3.
Morgenständchen
In den Wipfeln frische Lüfte,
Fern melod'scher Quellen Fall,
Durch die Einsamkeit der Klüfte
Waldeslaut und Vogelschall,
Scheuer Träume Spielgenossen,
Steigen all beim Morgenschein
Auf des Weinlaubs schwanken Sprossen
Dir ins Fenster aus und ein.
Und wir nahn noch halb in Träumen,
Und wir tun in Klängen kund,
Was da draußen in den Bäumen
Singt der weite Frühlingsgrund.
Regt der Tag erst laut die Schwingen:
Sind wir alle wieder weit -
Aber tief im Herzen klingen
Lange nach noch Lust und Leid.
4.
Eldorado
Es ist von Klang und Düften
Ein wunderbarer Ort,
Umrankt von stillen Klüften,
Wir alle spielten dort.
Wir alle sind verirret,
Seitdem so weit hinaus
Unkraut die Welt verwirret,
Findt keiner mehr nach Haus.
Doch manchmal taucht's aus Träumen,
Als läg es weit im Meer,
Und früh noch in den Bäumen
Rauscht's wie ein Grüßen her.
Ich hört den Gruß verfliegen,
Ich folgt ihm über Land,
Und hatte mich verstiegen
Auf hoher Felsenwand.
Mein Herz ward mir so munter,
Weit hinten alle Not,
Als ginge jenseits unter
Die Welt in Morgenrot.
Der Wind spielt' in den Locken,
Da blitzt' es drunten weit,
Und ich erkannt erschrocken
Die alte Einsamkeit.
Nun jeden Morgenschimmer
Steig ich ins Blütenmeer,
Bis ich Glücksel'ger nimmer
Von dorten wiederkehr.
5.
Angedenken
Berg' und Täler wieder fingen
Ringsumher zu blühen an,
Aus dem Walde hört ich singen
Einen lust'gen Jägersmann.
Und die Tränen drangen leise:
So einst blüht' es weit und breit,
Als mein Lieb dieselbe Weise
Mich gelehrt vor langer Zeit.
Ach, ein solches Angedenken,
's ist nur eitel Klang und Luft,
Und kann schimmernd doch versenken
Rings in Tränen Tal und Kluft.
6.
Die Hochzeitsnacht
Nachts durch die stille Runde
Rauschte des Rheines Lauf,
Ein Schifflein zog im Grunde,
Ein Ritter stand darauf.
Die Blicke irre schweifen
Von seines Schiffes Rand
Ein blutigroter Streifen
Sich um das Haupt ihm wand.
Der sprach: Da oben stehet
Ein Schlößlein überm Rhein,
Die an dem Fenster stehet:
Das ist die Liebste mein.
Sie hat mir Treu versprochen
Bis ich gekommen sei,
Sie hat die Treu gebrochen,
Und alles ist vorbei."
Viel Hochzeitsleute drehen
Sich oben laut und bunt,
Sie bleibet einsam stehen
Und lauschet in den Grund.
Und wie sie tanzen munter,
Und Schiff und Schiffer schwand,
Stieg sie vom Schloß herunter,
Bis sie im Garten stand.
Die Spielleut musizierten,
Sie sann gar mancherlei,
Die Töne sie so rührten,
Als müßt das Herz entzwei.
Da trat der Bräut'gam süße
Zu ihr aus stiller Nacht,
So freundlich er sie grüßte,
Daß ihr das Herze lacht.
Er sprach: Was willst du weinen,
Weil alle fröhlich sein?
Die Stern so helle scheinen,
So lustig geht der Rhein.
Das Kränzlein in den Haaren
Steht dir so wunderfein,
Wir wollen etwas fahren
Hinunter auf dem Rhein."
Zum Kahn folgt' sie behende,
Setzt' sich ganz vorne hin,
Er setzt' sich an das Ende
Und ließ das Schifflein ziehn.
Sie sprach: Die Töne kommen
Verworren durch den Wind,
Die Fenster sind verglommen,
Wir fahren so geschwind.
Was sind das für so lange
Gebirge weit und breit?
Mir wird auf einmal bange
In dieser Einsamkeit!
Und fremde Leute stehen
Auf mancher Felsenwand,
Und stehen still und sehen
So schwindlig übern Rand." -
Der Bräut'gam schien so traurig
Und sprach kein einzig Wort,
Schaut in die Wellen schaurig
Und rudert immerfort.
Sie sprach: Schon seh ich Streifen
So rot im Morgen stehn,
Und Stimmen hör ich schweifen,
Vom Ufer Hähne krähn.
Du siehst so still und wilde,
So bleich wird dein Gesicht,
Mir graut vor deinem Bilde -
Du bist mein Bräut'gam nicht!" -
Da stand er auf - das Sausen
Hielt an in Flut und Wald -
Es rührt mit Lust und Grausen
Das Herz ihr die Gestalt.
Und wie mit steinern'n Armen
Hob er sie auf voll Lust,
Drückt ihren schönen, warmen
Leib an die eis'ge Brust. -
Licht wurden Wald und Höhen,
Der Morgen schien blutrot,
Das Schifflein sah man gehen,
Die schöne Braut drin tot.