Goethe’s plays
Lecture 1: Götz von Berlichingen and Egmont
1. Ein Schauspiel, in welchem zwey und sechzig Personen auftreten, ohne die stummen Scharen zu rechnen, in welchem fast eben so viele Auftritte sind, wo die Scene alle Augenblicke viele Meilen weit verlegt wird, in welchem fast alle Stände des menschlichen Lebens vom Kayser bis auf den Bauer, und noch tiefer, den Zigeuner, hinab erscheinen, in welchem der Pallast mit dem Walde, das Schlafzimmer mit dem Lager eines Kriegsheers, in welchem die Buhlerin mit der treuzärtlichen Ehefrau, ein klein Kind mit dem wilden Ritter, und aller möglicher Contrast mit einander abwechselt; ein solches Schauspiel macht eine ganz neue Gattung des Drama aus. […] Selbst im Schakespear [findet man] nicht die Menge von contrastirenden Auftritten, und so vielerley zusammen gebracht, als in dem so genannten Schauspiele: Göz [sic] von Berlichingen. (From Magazin der deutschen Kritik (1774), in Volker Neuhaus, Johann Wolfgang Goethe: Götz von Berlichingen, Erläuterungen und Dokumente (Stuttgart, 1991), pp. 143-145 (pp. 143-144).)
2. Vor einigen Jahren ist ein »Götz von Berlichingen« auf unserm Theater erschienen, eine abscheuliche Nachahmung [Shakespeares]: und doch bewilligt unser Publikum diesem ekelhaften Gewäsche seinen lauten Beifall, und verlangt mit Eifer ihre öftere Wiederholung. (Über die deutsche Literatur (1780), tr. from the French by Christian Wilhelm von Dohm, in Friedrich II., König von Preußen, und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts: Texte und Dokumente, ed. Horst Steinmetz (Stuttgart, 1985), pp. 60-99 (p. 82).)
3.
Heide
Auf der einen Seite eine Höhe, auf der andern Wald. Hauptmann. Exekutionszug.
Hauptmann. Er hält auf der Heide! Das ist impertinent. Er soll’s büßen. Was! Den Strom nicht zu fürchten, der auf ihn losbraust?
Ritter. Ich wollt nicht, daß Ihr an der Spitze rittet; er hat das Ansehn, als ob er den ersten, der ihn anstoßen möchte, umgekehrt in die Erde pflanzen wollte. Reitet hinterdrein.
Hauptmann. Nicht gern.
Ritter. Ich bitt Euch. Ihr seid noch der Knoten von diesem Bündel Haselruten; löst ihn auf, so knickt er sie Euch einzeln wie Riedgras.
Hauptmann. Trompeter, blas! Und ihr blast ihn weg! (Ab.)
(Selbitz hinter der Höhe hervor im Galopp.)
Selbitz. Mir nach! Sie sollen zu ihren Händen rufen: »Multipliziert euch!« (Ab.)
(Lerse aus dem Wald.)
Lerse. Götzen zu Hülf! Er ist fast umringt. Braver Selbitz, du hast schon Luft gemacht. Wir wollen die Heide mit ihren Distelköpfen besäen. (Vorbei.)
(Getümmel.)
(Johann Wolfgang Goethe, Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. Ein Schauspiel (Stuttgart, 1981), p. 66.)
4.
Gottfried […] Mich ergeben! Auf Gnad und Ungnad! Mit wem redt ihr! Binn ich ein Räuber! Sag deinem Hauptmann: vor ihro Kayserlichen Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respeckt. Er aber, sags ihm, er kann mich im Arsch lecken. Schmeisst das Fenster zu.
(Goethe, Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand, in Goethes Sämtliche Werke, 40 vols, ed. Eduard van der Hellen (Stuttgart and Berlin, n. d.), X: Götz von Berlichingen, ed. Eduard van der Hellen, pp. 127-252 (pp. 201-202).)
5.
Götz. […] Ach daß ich Georgen noch einmal sähe, mich an seinem Blick wärmte! – Ihr seht zur Erden und weint – Er ist tot – Georg ist tot. – Stirb Götz – Du hast dich selbst überlebt, die Edeln überlebt. […] Er war der beste Junge unter der Sonne und tapfer. – Löse meine Seele nun! (Götz von Berlichingen, p. 111.)
6.
Götz. Meine Rechte, obgleich im Kriege nicht unbrauchbar, ist gegen den Druck der Liebe unempfindlich: sie ist eins mit ihrem Handschuh; Ihr seht, er ist Eisen.
Martin. So seid Ihr Götz von Berlichingen! […]
(Goethe, Götz von Berlichingen, p. 12)
7.
Götz. An unsrem Hochzeittag, Elisabeth, ahnte mir’s nicht, daß ich so sterben würde. – Mein alter Vater segnete uns, und eine Nachkommenschaft von edeln tapfern Söhnen quoll aus seinem Gebet. – Du hast ihn nicht erhört, und ich bin der Letzte. (Götz von Berlichingen, Act 5, p. 111.)
8. Ich tat wohl, daß ich durch meinen "Götz von Berlichingen" und "Egmont" [Shakespeare] mir vom Halse schaffte. (To Eckermann, 25 December 1825, in Hans Wagener, Johann Wolfgang Goethe: Egmont. Erläuterungen und Dokumente (Stuttgart, 1994), p. 70).
9.
Egmont. Unleidlich ward mir’s schon auf meinem gepolsterten Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fürsten, was leicht zu entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprächen überlegten, und zwischen düstern Wänden eines Saals die Balken der Decke mich erdrückten. Da eilt’ ich fort, sobald es möglich war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge. Und frisch hinaus, da wo wir hingehören! ins Feld, wo aus der Erde dampfend jede nächste Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle Segen der Gestirne einhüllend uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der Berührung unsrer Mutter kräftiger uns in die Höhe reißen; wo wir die Menschheit ganz, und menschliche Begier in allen Adern fühlen. (Johann Wolfgang Goethe, Egmont (Stuttgart, 1995), p. 75.)