Schiller’s plays
Lecture 4: theory of tragedy, Maria Stuart, Die Jungfrau von Orleans

  1. ‘Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen’ (1792)
    ‘Über die tragische Kunst’ (1792)
    ‘Vom Erhabenen’ (1793)
    ‘Über das Pathetische’ (1793)
    ‘Über das Erhabene’ (1801)
    ‘Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie’ (1803)
  2. Erhaben nennen wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit, ihre Freiheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch, d. i. durch Ideen erheben. (‘Vom Erhabenen’, in Schiller, Sämtliche Werke, 5 vols, ed. Gerhard Fricke and Herbert G. Göpfert, 3rd ed. (München, 1962), V, 489.)
  3. Das Gefühl des Erhabenen ist ein gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammensetzung von Wehsein, das sich in seinem höchsten Grad als ein Schauer äußert, und von Frohsein, das bis zum Entzücken steigen kann. (‘Über das Erhabene’, Sämtliche Werke, V, 796.)
  4. Erhaben […] ist alles, was dieses [moralische] Vermögen in uns zum Bewußtsein bringt. (‘Vom Erhabenen’, Sämtliche Werke, V, 511.)
  5. Das Erhabene verschafft uns […] einen Ausgang aus der sinnlichen Welt. (‘Über das Erhabene’, Sämtliche Werke, V, 799.)
  6. Wir sagen von einem Menschen, er handle gemein, wenn er bloß den Eingebungen seines sinnlichen Triebes folgt […], er handle edel, wenn er bloß der Vernunft, ohne Rücksicht auf seine Triebe, folgt. (‘Über das Pathetische’, Sämtliche Werke, V, 517.)
  7. […] Fähigkeit des Gemüts, sich seiner Vernunftbestimmung bewußt zu werden, und eine Empfänglichkeit für die Idee der Pflicht […]. (‘Vom Erhabenen’, Sämtliche Werke, V, 511.)
  8. Das erste Gesetz der tragischen Kunst [ist] Darstellung der leidenden Natur. Das zweite ist Darstellung des moralischen Widerstandes gegen das Leiden. (‘Über das Pathetische’, Sämtliche Werke, V, 515.)
  9. Durch das erste wird der Gegenstand pathetisch, nur durch das zweite wird das Pathetische zugleich erhaben. (‘Vom Erhabenen’, Sämtliche Werke, V, 512.)
  10. Zum Erhabenen der Handlung wird erfodert, daß das Leiden eines Menschen auf seine moralische Beschaffenheit nicht nur keinen Einfluß habe, sondern vielmehr umgekehrt das Werk seines moralischen Charakters sei. (‘Über das Pathetische’, Sämtliche Werke, V, 527-28.)
  11. Zum Erhabenen der Handlung wird erfodert, daß das Leiden eines Menschen auf seine moralische Beschaffenheit nicht nur keinen Einfluß habe, sondern vielmehr umgekehrt das Werk seines moralischen Charakters sei. Dies kann auf zweierlei Weise sein. Entweder […] wenn er aus Achtung für irgendeine Pflicht das Leiden erwählt. […] Oder […] wenn er eine übertretene Pflicht moralisch büßt. (‘Über das Pathetische’, Sämtliche Werke, V, 527-28.)
  12. Melvil. […] lasset uns
    Mit männlich edler Fassung ihr vorangehn
    Und ihr ein Stab sein auf dem Todesweg!
    Kennedy. Melvil! Ihr seid im Irrtum, wenn Ihr glaubt,
    Die Königin bedürfe unsers Beistands,
    Um standhaft in den Tod zu gehn! Sie selber ists,
    Die uns das Beispiel edler Fassung gibt.
    Seid ohne Furcht! Maria Stuart wird
    Als eine Königin und Heldin sterben.
    Melvil. Nahm sie die Todespost mit Fassung auf?
    Man sagt, daß sie nicht vorbereitet war.
    Kennedy. Das war sie nicht. Ganz andre Schrecken warens,
    Die meine Lady ängstigten. Nicht vor dem Tod,
    Vor dem Befreier zitterte Maria.
    – Freiheit war uns verheißen. Diese Nacht
    Versprach uns Mortimer von hier wegzuführen,
    Und zwischen Furcht und Hoffnung, zweifelhaft,
    Ob sie dem kecken Jüngling ihre Ehre
    Und fürstliche Person vertrauen dürfe,
    Erwartete die Königin den Morgen.
    – Da wird ein Auflauf in dem Schloß, ein Pochen
    Schreckt unser Ohr, und vieler Hämmer Schlag,
    Wir glauben, die Befreier zu vernehmen,
    Die Hoffnung winkt, der süße Trieb des Lebens
    Wacht unwillkürlich, allgewaltig auf –
    Da öffnet sich die Tür – Sir Paulet ists,
    Der uns verkündigt – daß – die Zimmerer
    Zu unsern Füßen das Gerüst aufschlagen!
    Sie wendet sich ab, von heftigem Schmerz ergriffen.
    Melvil. Gerechter Gott! O sagt mir! Wie ertrug
    Maria diesen fürchterlichen Wechsel?
    Kennedy nach einer Pause, worin sie sich wieder etwas gefaßt hat.
    Man löst sich nicht allmählich von dem Leben!
    Mit einem Mal, schnell, augenblicklich muß
    Der Tausch geschehen zwischen Zeitlichem
    Und Ewigem, und Gott gewährte meiner Lady
    In diesem Augenblick, der Erde Hoffnung
    Zurückzustoßen mit entschloßner Seele
    Und glaubenvoll den Himmel zu ergreifen.
    (Maria Stuart, V. 1)
  13. Das Erhabene verschafft uns also einen Ausgang aus der sinnlichen Welt […]. Nicht allmählich (denn es gibt von der Abhängigkeit keinen Übergang zur Freiheit), sondern plötzlich und durch eine Erschütterung reißt es den selbständigen Geist aus dem Netze los, womit die verfeinerte Sinnlichkeit ihn umstrickte. (‘Über das Erhabene’, Sämtliche Werke, V, 799.)
  14. Die Regel bei Verfertigung einer Tragödie wäre also: die Komposition muß so eingerichtet werden, daß der Held eine große Fassungsszene erhält, zugleich aber, daß er vorher einmal Anlaß erhält, sich als ein [leidendes] Naturwesen auszuweisen. (Otto Ludwig, Shakespearestudien (ca. 1860), in Friedrich Schiller. Maria Stuart, ed. Christian Grawe, Erläuterungen und Dokumente (Stuttgart, 1978), p. 175.)
  15. In der »Maria Stuart« ist die ganze Intrige von Mortimer und Leicester bloß deshalb vorhanden, damit die Maria im dritten Aufzuge sich als wirklich fühlendes Wesen beglaubigen konnte, wodurch ihr letztes Auftreten in »tragischer Fassung« nicht als Fühllosigkeit erschien. Der Zweck der Tragödie überhaupt, die »moralische Independenz von Naturgesetzen im Zustande des Affekts« ist also in dieser einzelnen und in den letzten Szenen der »Maria« erreicht. (Ludwig, in Grawe, ed., p. 175)
  16. Montgomery. Bittend will ich ihre Knie
    Umfassen, um mein Leben flehn, sie ist ein Weib,
    Ob ich vielleicht durch Tränen sie erweichen kann!
    (Die Jungfrau von Orleans, II. 6)
  17. Johanna. Betrogner Tor! Verlorner! In der Jungfrau Hand
    Bist du gefallen, die verderbliche, woraus
    Nicht Rettung noch Erlösung mehr zu hoffen ist.
    […]
    Montgomery. O bei der Milde deines zärtlichen Geschlechts
    Fleh ich dich an. Erbarme meiner Jugend dich!
    Johanna. Nicht mein Geschlecht beschwöre! Nenne mich nicht Weib.
    Gleichwie die körperlosen Geister, die nicht frein
    Auf irdsche Weise, schließ ich mich an kein Geschlecht
    Der Menschen an, und dieser Panzer deckt kein Herz.
    (Die Jungfrau von Orleans, II. 7)

 


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