German literature 1730-1805

Lecture 6
Politics: the crisis of authority

  1. Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. […] Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. (Immanuel Kant, ‘Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?’ (1784), in Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, ed. Ehrhard Bahr (Stuttgart, 1974), p. 9.)

  2. Ich! Der ich mir alles bin, da ich alles nur durch mich kenne! So ruft jeder, der sich fühlt, und macht große Schritte durch dieses Leben […] (Johann Wolfgang Goethe, ‘Zum Schäkespears Tag’ (1771), in Sturm und Drang: Kritische Schriften, ed. Erich Loewenthal, 3rd ed. (Heidelberg, 1972), p. 695.)

  3. Unser Zeitalter ist das Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetzgebung durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich, und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können. (Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, ed. Karl Kehrbach, 2nd ed. (Leipzig, 1878), p. 5 (preface to the first edition of 1781).) 

  4. Man kann es nicht oft genug wiederhohlen: „Nichts, was Menschen jemahls öffentlich gesagt, geschrieben und gethan haben, kann sich eines Privilegiums gegen die kaltblütige und bescheidene Untersuchung und Beurtheilung der Vernunft anmaßen." Kein Monarch ist [dafür zu] groß und kein Hoherpriester [zu] heilig. (Christoph Martin Wieland, ‘Gedanken über den freyen Gebrauch der Vernunft in Gegenständen des Glaubens’ (1788), in Sämmtliche Werke, 45 vols (Leipzig, 1794-98, repr. Hamburg 1984), XXIX, 21.)

  5. Prometheus

    Bedecke deine Himmel Zeus
    Mit Wolkendunst!
    Und übe Knabengleich
    Der Disteln köpft
    An Eichen dich und Bergeshöhn!
    Mußt mir meine Erde
    Doch lassen stehn,
    Und meine Hütte
    Die du nicht gebaut,
    Und meinen Herd
    Um dessen Glut
    Du mich beneidest.

    Ich kenne nichts ärmers
    Unter der Sonn als euch Götter.
    Ihr nähret kümmerlich
    Von Opfersteuern
    Und Gebetshauch
    Eure Majestät
    Und darbtet wären
    Nicht Kinder und Bettler
    Hoffnungsvolle Toren.

    Da ich ein Kind war
    Nicht wußt wo aus wo ein
    Kehrt mein verirrtes Aug
    Zur Sonne als wenn drüber wär
    Ein Ohr zu hören meine Klage
    Ein Herz wie meins
    Sich des Bedrängten zu erbarmen.

    Wer half mir wider
    Der Titanen Übermut
    Wer rettete vom Tode mich
    Von Sklaverei?
    Hast du's nicht alles selbst vollendet
    Heilig glühend Herz
    Und glühtest jung und gut
    Betrogen, Rettungsdank
    Dem Schlafenden dadroben

    Ich dich ehren? Wofür?
    Hast du je die Schmerzen gelindert
    Je des Beladenen
    Hast du die Tränen gestillet
    Je des Geängsteten?
    Hat mich nicht zum Manne geschmiedet
    Die allmächtige Zeit
    Und das ewige Schicksal
    Meine Herrn und deine.

    Wähntest etwa
    Ich sollt das Leben hassen
    In Wüsten fliehn,
    Weil nicht alle Knabenmorgen
    Blütenträume reiften.

    Hier sitz ich, forme Menschen
    Nach meinem Bilde
    Ein Geschlecht das mir gleich sei
    Zu leiden, weinen
    Genießen und zu freuen sich
    Und dein nicht zu achten
    Wie ich!
    (Johann Wolfgang Goethe (1774/5), in Goethe, Gedichte 1756-1799, ed. Karl Eibl (Frankfurt, 1987), pp. 203-204.)

  6. Der Prometheus nimmt sich wunderlich genug aus; ich getraute mir kaum ihn drucken zu lassen, so modern-sansculottisch sind seine Gesinnungen. (Goethe to Thomas Seebeck, 30 December 1819, in Goethe, Werke, Weimarer Ausgabe, IV/32, p. 134.)

  7. [Shakespeares] Stücke drehen sich alle um den geheimen Punkt […] in dem das Eigentümliche unsres Ichs, die prätendierte Freiheit unsres Wollens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt. (Johann Wolfgang Goethe, 'Zum Schäkespears Tag' (1771), in Sturm und Drang: Kritische Schriften, ed. Erich Loewenthal, 3rd ed. (Heidelberg, 1972), p. 697.)

  8. FRANZ. […] Jeder hat gleiches Recht zum Größten und Kleinsten, Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze. Wohl gibt es gewisse gemeinschaftliche Pakta, die man geschlossen hat, die Pulse des Weltzirkels zu treiben. Ehrlicher Name! […] Gewissen […] In der Tat, sehr lobenswürdige Anstalten, die Narren im Respekt und den Pöbel unter dem Pantoffel zu halten, damit die Gescheiten es desto bequemer haben. […] Ich habe Langes und Breites von einer sogenannten Blutliebe schwatzen gehört […] – Das ist dein Bruder! – das ist verdolmetscht: Er ist aus eben dem Ofen geschossen worden, aus dem du geschossen bist – also sei er dir heilig! – […] Weiter – es ist dein Vater! Er hat dir das Leben gegeben, du bist sein Fleisch, sein Blut – also sei er dir heilig. Wiederum eine schlaue Konsequenz! Ich möchte doch fragen, warum hat er mich gemacht? doch wohl nicht gar aus Liebe zu mir, der erst ein Ich werden sollte? Hat er mich gekannt, ehe er mich machte? Oder hat er mich gedacht, wie er mich machte? Oder hat er mich gewünscht da er mich machte? Wußte er was ich werden würde? […] Wo stickt dann nun das Heilige? Etwa im Aktus selber, durch den ich entstund? – Als wenn dieser etwas mehr wäre als viehischer Prozeß zur Stillung viehischer Begierden! […] – Sehet also, das ist die ganze Hexerei, die ihr in einen heiligen Nebel verschleiert, unsre Furchtsamkeit zu mißbrauchen. Soll auch ich mich dadurch gängeln lassen wie einen Knaben? Frisch also! mutig ans Werk! – Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, daß ich nicht Herr bin. Herr muß ich sein, daß ich das mit Gewalt ertrotze, wozu mir die Liebenswürdigkeit gebricht. (Friedrich Schiller, Die Räuber (1781/82), Act I, scene 1, in Schiller, Sämtliche Werke, ed. Gerhard Fricke and Herbert G. Göpfert, 3rd ed. (München, 1962), I, 500-502).

  9. Natur und Kunst oder Saturn und Jupiter

    Du waltest hoch am Tag und es blühet dein
      Gesetz, du hältst die Waage, Saturnus Sohn!
        Und teilst die Los' und ruhest froh im
          Ruhm der unsterblichen Herrscherkünste.

    Doch in den Abgrund, sagen die Sänger sich,
      Habst du den heilgen Vater, den eignen, einst
        Verwiesen und es jammre drunten,
          Da, wo die Wilden vor dir mit Recht sind,

    Schuldlos der Gott der goldenen Zeit schon längst:
      Einst mühelos, und größer, wie du, wenn schon
        Er kein Gebot aussprach und ihn der
          Sterblichen keiner mit Namen nannte.

    Herab denn! oder schäme des Danks dich nicht!
      Und willst du bleiben, diene dem Älteren,
        Und gönn es ihm, daß ihn vor allen,
          Göttern und Menschen, der Sänger nenne!

    Denn, wie aus dem Gewölke dein Blitz, so kömmt
      Von ihm, was dein ist, siehe! so zeugt von ihm,
        Was du gebeutst, und aus Saturnus
          Frieden ist jegliche Macht erwachsen.

    Und hab ich erst am Herzen Lebendiges
      Gefühlt und dämmert, was du gestaltetest,
        Und war in ihrer Wiege mir in
          Wonne die wechselnde Zeit entschlummert:

    Dann kenn ich dich, Kronion! dann hör ich dich,
      Den weisen Meister, welcher, wie wir, ein Sohn
        Der Zeit, Gesetze gibt und, was die
          Heilige Dämmerung birgt, verkündet.

    (Friedrich Hölderlin, ‘Natur und Kunst oder Saturn und Jupiter’ (1801), Sämtliche Werke: Kleine Stuttgarter Ausgabe, 6 vols, ed. Friedrich Beissner (Stuttgart, 1946-1962), II, 38-39.)


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